Win-Win-Trade?

Win-Win-Trade?

Wie soll man sich als geneigter NBA-Fan nach diesem Blockbuster-Trade fühlen? Gespannt? Enttäuscht? Irritiert? Oder einfach nur erleichtert, dass die Ben-Simmons-Seifenoper in Philadelphia endlich ihren Schlusspunkt gefunden hat? Dass der schmollende Australier mit seinem monatelangen Streik am Ende tatsächlich genau das bewirkt hat, was für ihn basketballerisch mutmaßlich am meisten Sinn ergibt, ist schon irgendwie absurd. Aber nun gut – auch die 76ers werden sich über das Endergebnis der Odyssee wohl kaum beschweren. Hut ab, Herr Morey! Obwohl dem General Manager der Sixers noch vor wenigen Wochen zahlreiche Experten ans Herz gelegt hatten, ein Paket der Güteklasse „Harrison Barnes und Buddy Hield“ zu akzeptieren, kommt es nun wirklich zu einer Wiedervereinigung mit seinem heißgeliebten bärtigen Superstar.

Auch wenn man neben Simmons auch Seth Curry und Andre Drummond (und zwei Erstrundenpicks) zu den Nets schicken musste, ist Philly durch diesen Deadline-Deal zweifelsohne besser geworden. Gut, die Messlatte hing zugegebenermaßen durch die selbstauferlegte Verbannung des bisherigen Zweitstars relativ niedrig. Aber dass James Harden und Joel Embiid nun gemeinsam auf Korbjagd gehen, ohne dass man Tyrese Maxey oder Matisse Thybulle abgeben musste, ist ein Coup für die Sixers.

Der Gedanke an ein Harden-Embiid-Pick-and-Roll dürfte gegnerischen Coaches schon jetzt schlaflose Nächte bereiten. The Beard ist noch immer einer der besten Playmaker der NBA und Embiid befindet sich mit 29.5 Punkten, 11.2 Rebounds und 4.5 Assists pro Partie (bei 60.7% True Shooting) inmitten einer MVP-würdigen Monster-Saison. Vor allem: Ein Switching-Scheme wäre bei den beiden Superstars für jede gegnerische Defense purer Selbstmord. Embiid ist momentan der beste Post-Up-Spieler der Liga und verspeist kleinere Defender regelmäßig zum Frühstück. Harden scheint seinen athletischen Zenit zwar überschritten zu haben, kann gegnerische Bigs am Perimeter aber immer noch mühelos alt aussehen lassen. Drop-Defense? Diese Einladung zu Pull-Up-Jumpern würde der Bärtige dankend annehmen. Eine Hedge- oder Trap-Taktik? Viel Spaß mit einer Unterzahlsituation und Embiid als Playmaker im Short-Roll. Auf dem Papier scheint es für dieses Two-Man-Game keine Antwort zu geben.

Allerdings sehe ich den Fit von Harden und Embiid nicht ganz so reibungslos, wie sich auf den ersten Blick vermuten ließe. Beide gehören zu den balldominantesten Spielern der gesamten Liga – und vor allem bei Harden machen ich mir Sorgen um seine Off-Ball-Motivation. Außerdem werden sich beide extrem umstellen müssen. Embiid ist nicht der klassische, Capela-esque Roll Man, den Harden bislang am liebsten an seiner Seite hatte. The Beard wird sich auf viele Pick-and-Pops einstellen müssen, ebenso wie auf Angriffe, in denen er dem Kameruner den Ball im Post überlasst. So ist das nun mal, wenn man sich den dominantesten Big Man seit Prime Shaq als neuen Co-Star aussucht. Ich bin sehr gespannt, wie sich Harden in dieser neuen Rolle zurechtfinden wird.

Zumal der 32-Jährige in den letzten Monaten nicht mehr die Ein-Mann-Offense war, die ihn in Houston zum besten Scorer der NBA gemacht hat. Hardens True Shooting ist in dieser Saison auf 57.6% abgerutscht – mit Ausnahme seines Rookie-Jahrs der schlechteste Wert seiner Karriere. Selbst abgesehen davon, dass die neue Linie der Schiedsrichter ihm und seiner traditionell absurden Freiwurfrate zu schaffen macht, fehlt dem Guard die Dynamik vergangener Tage. Erleben wir nur ein vorübergehendes Formtief? Oder ist es der Anfang vom Ende? Auf seine ohnehin schon höchstens unterdurchschnittliche Defense hat sich dieser Trend wenig überraschend nicht positiv ausgewirkt. Harden hat sich in den letzten Jahren in einem Switching-Scheme immer am wohlsten gefühlt. Auf den Positionen 1 bis 4 dürfte das in Philadelphia kein Problem sein, aber Embiid – einen der besten Korbbeschützer der Liga – wird man sicherlich weiterhin als Drop-Big einsetzen wollen. Vor allem in den Playoffs werden das gegnerische Teams gezielt attackieren.

Die größten Fragezeichen rund um Harden stehen aber abseits des Parketts. Wenn ein Superstar innerhalb eines Kalenderjahres gleich zweimal keine Lust mehr auf sein aktuelles Team hat, erweckt das bei den Fans des dritten Teams zurecht nicht gerade blinde Zuversicht. Zwar kann man Hardens Wechselwünsche irgendwo verstehen, wenn man sich die Situationen in Houston und zuletzt in Brooklyn (Kyrie!) vor Augen führt. Aber die Art und Weise, wie er sich von der jeweiligen Franchise gelöst hat macht mir Sorgen – ebenso wie seine jahrelange Unfähigkeit, an der Seite eines zweiten Superstars zu funktionieren. Sixers-Fans müssen darauf hoffen, dass Hardens innige Beziehung zu Daryl Morey und die Klasse von Joel Embiid ausreichen, um ihn voll und ganz an Bord zu holen.

Aber was, wenn das nicht klappt? Oder vielleicht noch schlimmer: Was, wenn es klappt, das Duo sich versteht und man Harden die saftige Vertragsverlängerung anbietet, die er mit Sicherheit verlangen wird? Im Sommer kann er für den Zeitraum aber der Saison 2023/24 eine vierjährige, mit 233 Millionen Dollar (!) dotierte Max-Extension unterschreiben. Im letzten Vertragsjahr, 2026/27, wären das 61.7 Millionen (!!) für einen 37-jährigen (!!!) James Harden. Ein alternder Superstar mit einem solchen Monster-Vertrag kann für eine Franchise wahnsinnig schnell zum Klotz am Bein werden – so wie Hardens ehemalige Rockets-Kollegen Russell Westbrook und John Wall.

Sollten die 76ers in den nächsten Jahren eine Meisterschaft gewinnen, wird den Verantwortlichen alles andere komplett egal sein. Und bei all den Sorgen lässt sich nicht abstreiten: Phillys Chancen auf einen tiefen Playoff-Run haben sich durch diesen Trade massiv verbessert. Ja, mit Seth Curry fehlt ihnen nun ein wichtiger Schütze und sogar Andre Drummond war in den letzten Wochen wertvoll als Backup-Center. Aber wir reden hier noch immer von James Freaking Harden! Dass die Situation rund um Ben Simmons nicht mehr zu retten war, deutete sich schon vor Monaten an. Anstatt also ein (MVP-)Jahr von Joel Embiids Prime zu verschenken, stellte man ihm einen weiteren Superstar an die Seite. Die Sixers haben nun das Potenzial, in jeder Playoff-Serie zwei der drei besten Spieler zu stellen – das ist schon mal ein verdammt guter Anfang. Zumal jedes Mitglied des Supporting Casts – allen voran Tobias Harris – plötzlich weniger Verantwortung übernehmen muss. Ich würde Philly nach der Deadline zwar nicht als Favorit im Osten bezeichnen, aber eine Finals-Teilnahme ist auf einmal absolut im Bereich des Möglichen.

Kommen wir zur anderen Seite dieses Blockbusters. Wie könnte Ben Simmons an der Seite von (50%) Kyrie Irving und Kevin Durant aussehen? Auf dem Papier ist dieses Trio unfassbar spannend. Man stelle sich Simmons als Draymond Green 2.0 vor. Ein defensives Monster, das sowohl den besten Perimeter-Spieler des Gegners verteidigen als auch auf den Positionen 1 bis 5 alles switchen kann. Ein williger Screener und tödlicher Playmaker aus dem Short-Roll heraus, wenn KD oder Kyrie gedoppelt werden. Eine Pace- und Transition-Maschine, die den Schützen des Teams zahlreiche offene Würfe auf dem Silbertablett serviert. In der Theorie passt ein solcher Spieler perfekt in dieses Nets-Team. Und in der Theorie bringt Simmons alle nötigen Fähigkeiten mit, um diese Rolle exzellent auszufüllen.

Aber wie sieht es in der Praxis aus? Bislang haben wir den Australier als mehr oder weniger klassischen Point Guard gesehen, der nicht werfen kann/will. Lag das an seinem Selbstverständnis und seiner Unwilligkeit, eine andere Rolle einzunehmen? Oder lag es an den fehlenden anderen Puzzleteilen in Philadelphia? Wahrscheinlich ein bisschen von beidem. So sehr mich die Idee von Simmons bei den Nets begeistert – er muss mir erst auf dem Parkett beweisen, dass er dieser Draymond 2.0 sein kann.

Eine neue Ära in Brooklyn, die beste Offensive aller Zeiten, das nächste Superteam, mehrere Championships – all diese Träume mussten nach nur 16 gemeinsamen Spielen der Big Three schon wieder begraben werden. Schon jetzt, wenige Tage nach Hardens Abgang, ist klar: Wir sprechen hier von einem der größten What-Ifs der NBA-Geschichte. Hätte dieses Trio ohne das Verletzungspech und das Impf-Drama rund um Kyrie Irving tatsächlich mehrere Ringe gemeinsam holen können? In den vergangenen Playoffs war man lediglich eine Durantsche Schuhgröße von den Conference Finals entfernt. Dass man den späteren Champion aus Milwaukee an den Rand einer Niederlage brachte, obwohl Kyrie verletzt fehlte und Harden quasi einbeinig spielte, verdient ein gewisses Maß an Respekt. Aber trotzdem: Die spektakuläre Implosion des selbsternannten Superteams wird wahrscheinlich jahrzehntelang für Diskussionsstoff sorgen. Immer mit der großen Frage: Was wäre gewesen, wenn…?

Kurioserweise lässt sich aber argumentieren, dass die Nets durch diesen Trade tatsächlich besser geworden sind. Wenn wir von der Prämisse ausgehen, dass das Verhältnis von Harden und seinen Teamkollegen (Kyrie!) nicht zu kitten war, dann hatte die Big Three keine Zukunft. Dass man mit Ben Simmons nun genau den Spielertyp bekommen hat, den Irving und Durant auf dem Papier am besten neben sich gebrauchen können, ist ein Coup. Außerdem kommt mit Curry ein brandgefährlicher Shooter und mit Drummond ein kompetenter Big Man. Simmons könnte – insofern er zurück zu alter Stärke findet – die wacklige Defense auf ein komplett anderes Level heben, ohne dass man am offensiven Ende des Feldes auf ihn bauen muss. Außerdem kann die Armada an Scharfschützen – KD, Kyrie, Curry, Patty Mills und (hoffentlich) Joe Harris – jeden Gegner an jedem beliebigen Abend aus der Halle ballern. Ach ja, und mit Kevin Durant hat man noch immer den vielleicht besten Spieler der Welt in den eigenen Reihen.

Aber reicht das für einen Championship-Run? Ich denke nicht. Selbst wenn wir davon ausgehen (tue ich nicht), dass Simmons genau der Star-Rollenspieler sein kann, den man sich in Brooklyn erhofft, wird die Defense in den Playoffs Fragen aufwerfen. Die Guard-Rotation ist klein und schmächtig und auf den großen Positionen fehlt trotz Simmons eine Antwort auf die großen Brocken der Conference, vor allem Giannis und Embiid. Und dann wäre da natürlich noch das klitzekleine Problemchen namens Kyrie Irving. Nach dem Abgang von Harden brauchen die Nets ihren magischen Point Guard mehr denn je – wenn möglich nicht nur in der Hälfte der Spiele. Sollte sich also die Corona-Auflagen in New York entsprechend ändern (oder sollte Kyrie sich impfen lassen), muss man im Titelrennen trotz des katastrophalen Scheiterns des Superteams fest mit den Nets rechnen.

Zum Abschluss die große Frage: Existiert eine Welt, in der sich die Meisterschaftschancen BEIDER Teams durch diesen Trade erhöht haben? Ich denke schon. Aber gleichzeitig wirft die neue Situation auf beiden Seiten vielleicht sogar noch mehr Fragen als zuvor auf. Wir werden sehen, wie sich die neuen Duos und Trios bis zum Ende der Saison schlagen. Zumindest glaube ich, dass ich für uns alle spreche, wenn ich sage: Ich will unbedingt ein Duell zwischen Brooklyn und Philly in den Playoffs! Das würde diese absurde Saga auf die Spitze treiben – und wäre einfach nur wahnsinnig unterhaltsam.

Back to top