Alles begann im Jahr 2000, genauer gesagt am 14. Dezember, mit der berühmtesten Serviette der Fußballgeschichte. Ein schmächtiger Knirps aus Argentinien schloss sich an jenem Tag dem großen FC Barcelona an – und schrieb in den folgenden 21 Jahren eine einzigartige Geschichte.
Inzwischen hat Lionel Messi 778 Profi-Spiele für die Katalanen absolviert, 672 Tore geschossen und 305 Vorlagen gegeben. In 17 Saisons bei den Profis gewann er zehnmal die spanische Meisterschaft, siebenmal den Pokal, viermal die Champions League und dreimal die Klub-WM. Sechs Ballon-d’Ors hat er in seiner prall gefüllten Vitrine stehen – der edelmetallische Beweis für eine irre Konstanz an der Weltspitze. Messi und Barça sind in den letzten beiden Jahrzehnten zu einer untrennbaren Einheit verschmolzen – ein Superstar und sein Herzensverein. Doch jetzt soll dieses Fußballmärchen sein jähes Ende gefunden haben? Als Romantiker will man es noch nicht so wirklich wahrhaben.
Zumal die Scheidung keineswegs plötzlich oder überraschend kam. Die Ausgangssituation war klar umrissen: Messi will einen neuen Vertrag unterschreiben, wenn Barça aber nicht einige Namen von der Gehaltsliste streicht, wird das nicht möglich sein. Doch es passierte… nichts. Im Gegenteil, die Katalanen verpflichteten munter weitere Neuzugänge. Man muss also klar festhalten: Weder der Argentinier noch die Liga sind schuld an diesem Desaster. Selbst wenn Messi für den gesetzlichen Mindestlohn (gibt es den in Spanien?) hätte spielen wollen – die Regularien hätten es ihm nicht erlaubt. Der FC Barcelona hat sich dieses Grab mit jahrelanger Misswirtschaft selbst geschaufelt. Ja, viele in der Nachbetrachtung desolate Transfers wurden hauptsächlich getätigt, um Messi zufriedenzustellen. Dennoch hat Barça in den vergangenen Jahren unzählige Fehler gemacht und deshalb den Anschluss an die europäische Elite verloren. Als Quittung muss man nun den Abgang des vielleicht besten Spielers aller Zeiten verkraften.
Es ist ein unrühmlicher Abschied, den Heldentaten des Lionel Messi nicht würdig. Das Ende dieser unvergleichlichen Erfolgsgeschichte hätte genau so märchenhaft sein sollen wie ihr Anfang. Statt 100.000 weinenden Fans im Camp Nou waren 50 Menschen in einem Presseraum Messis letzter Anblick als Teil der Barça-Familie. Hätte er die Katalanen einmal mehr zur spanischen Meisterschaft führen können? Schließlich schien er 2020/21 mit 52 Scorerpunkten in 47 Pflichtspielen noch lange nicht daran zu denken, zu einem Normalsterblichen zu werden. Hätte er vielleicht sogar noch mal den Henkelpott holen können, den er zuletzt 2015 in Händen hielt? Wir werden es nie erfahren. Nach all den Jahren ist Messis Barça-Karriere frühzeitig vorbei – ein unvollendetes Meisterwerk. Ein Picasso-Gemälde ohne die letzten Pinselstriche, eine Mozart-Sinfonie ohne die letzten Töne, ein Shakespeare-Stück ohne den letzten Akt.
Dass Messi inzwischen bei Paris Saint-Germain angeheuert hat, lässt das Herz des Fußballromantikers noch ein Stück weiter brechen. Vor allem weil dieser Schritt aus Sicht des Argentiniers viel Sinn ergibt. Warum sollte Messi, der noch immer zu den besten Spielern des Planeten zählt, die Chance ausschlagen, mit dem Star-Ensemble von Nasser Al-Khelaifi einen weiteren Anlauf in der Königsklasse zu wagen. Er wird in Paris mit Neymar und Kylian Mbappé das (auf dem Papier) beste Angriffstrio aller Zeiten bilden und findet einen Landsmann auf der Trainerbank vor, in dessen System er sich leicht integrieren lässt. In Maurizio Pochettinos bevorzugtem 4-2-3-1 oder 4-3-3 wird Messi als Zehner, falsche Neun oder über die rechte Seite alle Freiheiten haben und die Ligue 1 in Grund und Boden schießen. Der 34-Jährige wird das tun, was er am besten kann: sich ins Zentrum und in die Halbräume fallen lassen, um von dort das Spielgeschehen an sich zu reißen. Bei PSG wird er dabei die Unterstützung genießen, die er zuletzt bei Barça nicht hatte: Mit Achraf Hakimi hat PSG den aktuell vielleicht weltbesten offensiven Außenverteidiger verpflichtet. In vielen Szenen der kommenden Saison könnten bei Messi Erinnerungen an die glorreichen Zeiten an der Seite von Dani Alves aufkommen. Außerdem stehen mit Georginio Wijnaldum, Marco Verratti, Ángel Di María, Idrissa Gueye, Leandro Paredes und Co. zahlreiche Mittelfeldspieler zur Verfügung, die Messi (und Neymar und Mbappé) von eventuellen Defensivaufgaben weitestgehend entbinden können. Ganz zu schweigen von den Innenverteidigern Sergio Ramos und Marquinhos und Keeper Gianluigi Donnarumma. An den wichtigen Champions-League-Abenden könnte Pochettinos sogar problemlos auf eine Dreierkette und zwei Flügelverteidiger umstellen, um die defensive Stabilität noch zu erhöhen. Trotz des Triumvirats der defensiven Lustlosigkeit an vorderster Front mache ich mir um PSGs Spiel gegen den Ball also keine ernsthaften Sorgen. Zumal diese Star-Auswahl in der Liga eher Trainingsspielchen als echte Härtetests absolvieren wird.
In meinen Augen verbieten sich die Bestes-Team-aller-Zeiten-Debatten noch. Auf dem Papier kann diese PSG-Elf mit jeder anderen Mannschaft der Geschichte mithalten, aber wie das sündhaft teure Gebilde auf dem Rasen funktionieren wird, steht noch in den Sternen. Ich formuliere es mal vorsichtig: Wenn man drei der fünf besten Spieler der Welt in den eigenen Reihen hat und auf fast jeder anderen Position ebenfalls weltklasse besetzt ist, stehen die Chancen auf einen Triumph in der Königsklasse nicht schlecht. Ach, wem wollen wir etwas vormachen? Paris ist der klare Favorit auf den Henkelpott. Wäre es nicht doch noch ein Happy End für Lionel Messi, wenn er sich mit einem oder zwei weiteren Champions-League-Trophäen in die wohlverdiente Frührente nach Argentinien oder in die USA verabschieden könnte? Ihm persönlich wäre es zu gönnen, selbst wenn man dem Konstrukt Paris Saint-Germain kritisch gegenübersteht. Das tragische Ende seines Barça-Märchens würde zwar weiterhin einen faden Beigeschmack hinterlassen, doch für Messi selbst wäre es das treffende Ende einer unnachahmlichen Karriere.