Saisonfazit: Central Division

Die NBA-Saison 2020/21 ist vorbei – Zeit für ein Fazit! In Teil 2 von 6 geht es um die Mannschaften der Central Division: die Bucks, Bulls, Cavaliers, Pacers und Pistons.

Milwaukee Bucks: Es ist vollbracht, die Milwaukee Bucks sind NBA-Champion! Und das auch noch in sechs Spielen, wie es Brandon Jennings einst prophezeite. Natürlich steht nun ein Mann besonders im Scheinwerferlicht: Was Giannis Antetokounmpo in diesen Playoffs, und vor allem in den Finals, ablieferte, lässt sich nur schwer mit Adjektiven beschreiben. „Historisch“ trifft es wahrscheinlich am besten. 35.2 Punkte, 13.2 Rebounds, 5.0 Assists, 1.2 Steals und 1.8 Blocks gegen die Phoenix Suns. 50 Punkte, 14 Rebounds, 5 Blocks und 17 von 19 getroffene Freiwürfe im entscheidenden Game 6. Der Greek Freak hat seinem Namen alle Ehre gemacht und jegliche Zweifel an seinem Status als Anführer eines Meisterschaftsteams zerschmettert. Was ihm in den letzten beiden Postseasons nicht gelungen war, schaffte er nun eindrucksvoll: Er packte sein Team auf seine (unfassbar breiten) Schultern und trug es über die Ziellinie. Und das alles, nachdem ein furchteinflößender Sturz und ein komplett überdehntes Knie ihn für das Ende der Serie gegen die Hawks außer Gefecht gesetzt hatten. Ein Normalsterblicher hätte sich monatelang nur noch mit Krücken fortbewegen können, Giannis machte drei Wochen später 50 Punkte in einem Finals-Spiel. Wie gesagt: historisch! Das ist die Liste der Spieler, die in ihrer Karriere mindestens einmal MVP, DPOY und Finals MVP wurden: Michael Jordan, Hakeem Olajuwon, Giannis Antetokounmpo. That’s it.

Giannis‘ Leistungen werden nur noch unglaublicher, wenn man das große Ganze betrachtet. Ein nigerianisch-stämmiger Junge aus Athen, aufgewachsen in bitterer Armut. Gedraftet als dürre Wildcard vollzog er eine drastische Transformation zu einem der besten Spieler der Welt. Nach enttäuschenden Ergebnissen und monatelangen Spekulationen zog es ihn nicht in ein sogenanntes Superteam. Er blieb loyal, wollte unbedingt im kleinen Markt Milwaukee bleiben und der Franchise ihren ersten Titel seit 50 Jahren bescheren. Jetzt hat er es geschafft, als Anführer und Finals MVP, in den Fußstapfen von Bucks-Legenden wie Kareem Abdul-Jabbar und Oscar Robertson.

Nicht nur Giannis‘ Geschichte macht diesen Titel so besonders. Durch die Bank sind die Karrieren der Bucks-Spieler von Enttäuschungen und Unterbewertungen geprägt. P.J. Tucker ist ein einstiger Zweitrundenpick, der zunächst mehrere Jahre in Europa – unter anderem in Bamberg – spielen musste, bevor er sich in der NBA etablieren konnte. Für Bobby Portis sind die Bucks seit 2019 der vierte Arbeitgeber. Khris Middleton, ein weiterer Zweitrundenpick, der in diesen Playoffs mit einigen artistischen Clutch-Würfen maßgeblich am Erfolg beteiligt war, kam 2013 als bedeutungsloses Trade-Anhängsel aus Detroit. In den vergangenen Jahren wurde mehrfach ausführlich über mögliche Nachfolger des hart kritisierten Headcoachs Mike Budenholzer spekuliert. Und jetzt sind sie allesamt NBA-Champs.

Trotz der Meisterschaft sollte man in Milwaukee nicht den Fehler machen, sich automatisch als klarer Favorit auf die Titelverteidigung zu sehen. Es gehört eben auch zur Wahrheit, dass man auf von Verletzungen gebeutelte Nets traf und Teams wie den 76ers, Lakers und Clippers nicht gegenüberstehen musste. Man war eine Fußspitze von Kevin Durant davon entfernt, erneut ein enttäuschendes Zweitrundenaus zu erleben. Giannis wäre für seine Freiwurfquote kritisiert worden, Jrue Holiday für seine phasenweise katastrophale Offense, Middleton für seine Schwächephasen. Mike Budenholzer hätte sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nach einem neuen Job umsehen müssen. All das soll die Leistung der Bucks nicht schmälern. Sie sind ein würdiger Champion und werden auch in der kommenden Saison wieder zu den Contendern gehören. Dennoch war selbst in einer von der Larry-O’Brie-Trophäe gekrönten Saison noch Luft nach oben. Schon bald wird man sich aufs Neue behaupten müssen. Die Augen eines jeden Meisterschaftsaspiranten richten sich zuallererst auf den Titelverteidiger – mit diesem Druck müssen die Bucks nun umgehen können.

Chicago Bulls: Mit der Verpflichtung von Nikola Vučević zur Trade-Deadline gab das Front Office der Chicago Bulls eine klare Marschroute vor: Ab in die Playoffs! Dieses Ziel wurde nicht erreicht, das United Center musste eine weitere Saison ohne Postseason-Basketball auskommen. Muss man deshalb in Chicago die abgelaufene Spielzeit als Misserfolg abstempeln? Bis zu einem gewissen Grad sicherlich, doch es gab auch Lichtblicke – namentlich Zach LaVine und Patrick Williams. Der eine hat sich zu einem der besten Scorer der NBA entwickelt und darf sich nun All-Star nennen. Der andere hat sich im Alter von 19 Jahren bereits als herausragender Verteidiger erwiesen und enormes offensives Potenzial angedeutet.

LaVines Aufstieg hat den Bulls etwas gegeben, dass sie bislang nicht hatten: einen Star, um den herum man ein Playoff-Team bauen kann. Der 26-Jährige verbesserte seinen Punkteschnitt von 25.5 auf 27.4 – auf den ersten Blick kein außergewöhnlicher Leistungssprung. Doch es war vor allem seine Effizienz, die ihn zum All-Star machte. Von 45.0% auf 50.7% aus dem Feld, von 38.0% auf 41.9% von hinter der Dreierlinie. Mit einer Effective Field Goal Percentage von 59.6% gehörte LaVine zu den besten Guards der Liga, zum Vergleich: Stephen Curry verzeichnete 60.5 eFG%. Mit dem Trade für Center Vučević wollte man LaVine endlich einen hochklassigen Pick-and-Roll-Partner an die Seite stellen. Eine kurzfristige Talent-Injektion, um nach einer dreijährigen Periode der Irrelevanz wieder in die Playoffs zu kommen. In der Praxis aber fand das neue All-Star-Duo in den wenigen gemeinsamen Spielen noch nicht die nötige Kohärenz, um die Bulls zumindest ins Play-In-Tournament zu führen.

Wird sich das in der kommenden Saison ändern? Mit einem von LaVine und Vučević angeführten Team in die Playoffs zu kommen, sollte ein realistisches Ziel sein. Nachdem man Wendell Carter Jr. und zwei Erstundenpicks geopfert hat, um dieses Duo auf die Beine zu stellen, bleibt den Bulls auch nichts anderes übrig. Der Trade war ein klarer Win-Now-Move, für den man einen Teil der eigenen Zukunft aufs Spiel gesetzt hat. Stand jetzt hat sich dieses Risiko nicht bezahlt gemacht: Die Bulls verpassten die Playoffs, hatten in der Lottery jedoch nicht das nötige Glück, um den eigenen Pick zu behalten. So geht man also in die Spielzeit 2021/22 – mit zwei All-Stars in ihrer Prime, einem vielversprechenden Talent und einem mit vielen Fragezeichen versehenen Supporting Cast. Zach LaVine kann nach der kommenden Saison Unrestricted Free Agent werden – ein Szenario, das die Bulls möglichst vermeiden sollten. Der beste Weg zum Herzen eines Stars ist Erfolg. Eine Playoff-Teilnahme 2022 wäre ein guter Start.

Cleveland Cavaliers: Die Cavs sind eines der Teams, bei denen ein Blick in die unmittelbare Zukunft wesentlich spannender ist als die Saison 2020/21 Revue passieren zu lassen. Cleveland war in den ersten Wochen eines der Überraschungsteams der Liga, landete am Ende jedoch dort, wo es zu erwarten war. Mit einer Bilanz von 22-50 nahm man Rang 13 im Osten ein und wurde mit dem dritten Pick der Draft „belohnt“. Collin Sexton und Darius Garland stellten einmal mehr ihr Potenzial unter Beweis, ohne sich aber als essenzielle Bestandteile der Zukunftsplanungen aufzudrängen. Gleiches gilt für Center Jarrett Allen, den sich Cleveland (fast) ohne Gegenwert aus Brooklyn schnappte. Mit dem dritten Pick wird man am 29. Juli höchstwahrscheinlich entweder Evan Mobley, Jalen Green oder Jalen Suggs auswählen – bei allen drei ist es plausibler, dass sie mal zum Franchise-Spieler werden könnten. Wird also mindestens ein anderes Talent Platz machen müssen? Isaac Okoro hatte eine mehr als solide Rookie-Saison und sollte – vor allem wegen seiner defensiven Talente – auf absehbare Zeit in Cleveland bleiben dürfen. Allen ist Restricted Free Agent, die Cavs können also mit jeglicher Offerte eines anderen Teams mitziehen. Gibt es eine Schmerzgrenze für die Dienste des Mannes mit dem prägnanten Afro?

Der Fit von Garland und Sexton hingegen, der schon immer hinterfragt wurde, scheint seine Kritiker nicht abschütteln zu können. Wenn man der Gerüchteküche Glauben schenkt, ist man in Cleveland wohl auf der Suche nach einem Trade für Sexton. Ein Bekenntnis zu Garland also? Beide sind noch blutjung und bringen viel Talent mit, aber während Sexton der bessere Scorer ist, zeigte Garland bislang mehr Playmaking-Qualitäten. Mit Blick auf den kommenden Draft werden die Sorgenfalten nicht weniger tief. Im Idealfall können die Cavs an dritter Stelle Big Man Evan Mobley auswählen. Sollte Mobley allerdings nicht mehr verfügbar sein, sind die beiden nächstbesten Talente eindeutig Jalen Green und Jalen Suggs – zwei balldominante Guards. Garland, Sexton UND einen der beiden angehenden Rookies gewinnbringend im Kader zu haben, scheint ausgeschlossen. Ein Sexton-Trade könnte also tatsächlich eine gute Option sein. Vielleicht würde man es bei dieser Gelegenheit sogar schaffen, den schrecklichen Vertrag von Kevin Love loszuwerden.

Die Cavaliers sind eines der Rebuilding-Teams, die sich zwar auf einem guten Weg befinden, aber noch keinen klaren Franchise-Spieler gefunden haben. Und so ist eine weitere Saison ins Land gezogen, in der einige Akteure ermutigende Ansätze gezeigt haben, die Cleveland im Großen und Ganzen aber nicht zurück in die Relevanz katapultiert hat. Doch ein junger Mannschaftskern aus Garland, (Sexton), Allen, Isaac Okoro und wer auch immer mit dem dritten Pick in Ohio landet könnte Cavs-Fans optimistisch stimmen.

Indiana Pacers: Man kann es nicht oft genug betonen: Die Saison 2020/21 war in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich und stellenweise schlichtweg komisch. Die Indiana Pacers haben die besonderen Umstände anscheinend besonders hart getroffen. Die Franchise, die zuvor drei Jahre in Folge mit Headcoach Nate McMillan zu den fünf besten Ost-Teams zählte, rutschte mit einer Bilanz von 34-38 auf Rang 9 ab, bevor das Verpassen der Playoffs durch eine Play-In-Niederlage gegen Washington besiegelt wurde. Für Neu-Coach Nate Bjorkgren bedeutet die verkorkste Saison, dass er seine Koffer schon wieder packen muss. An seiner Stelle wird Rick Carlisle, langjähriger Übungsleiter und Meistertrainer der Dallas Mavericks, die Pacers in die kommende Saison führen. Carlisle übernimmt eine Mannschaft, die in der abgelaufenen Spielzeit vergeblich nach ihrer Identität gesucht hat. Mit einem aus Domantas Sabonis, Myles Turner, Malcolm Brogdon und T.J. Warren bestehenden Core befindet man sich im ungeliebten Niemandsland der NBA: nicht gut genug für eine Meisterschaft, nicht schlecht genug für einen hohen Draftpick.

Indianas Ziel muss es sein, wieder zurück in die Playoffs zu kommen. Brogdon und Sabonis bildeten selbst in dieser verlorenen Saison ein starkes Duo, Warren absolvierte verletzungsbedingt nur vier Spiele und Caris LeVert, der per Trade aus Brooklyn kam, dann jedoch wegen einer Nieren-OP ausfiel, war gegen Ende der Saison wieder auf dem Weg zu seiner Bestform. Ein großes Fragezeichen steht noch immer hinter der Personalie Myles Turner. Der 25-Jährige ist einer der besten Korbbeschützer der Liga (3.4 Blocks pro Spiel – Bestwert!), der noch dazu über einen passablen Wurf verfügt. Doch der Fit mit Sabonis ist bestenfalls fragwürdig und die schon seit Jahren andauernden Tradegerüchte reißen nicht ab. Ob die Pacers weiterhin mit Turner planen, wissen sie wahrscheinlich nicht einmal selbst so genau.

Trotz einer verkorksten Saison ohne Playoff-Teilnahme wird in Indianapolis niemand in Panik verfallen. Mit Rick Carlisle wurde ein künftiger Hall-of-Famer verpflichtet, der nach dem fehlgeschlagenen Bjorkgren-Intermezzo wieder Stabilität und eine klare Linie auf die Trainerbank bringen soll. Dass Carlisle aus diesem Pacers-Kader wieder ein Playoff-Team formen kann, ist wahrscheinlich. Für mehr wird es (Stand jetzt) vermutlich nicht reichen.

Detroit Pistons: Für Detroit hätte die Saison – und vor allem die anschließende Lottery – nicht besser laufen können. Das kontinuierliche Tanking und die 52 Niederlagen wurden mit dem größtmöglichen Preis belohnt: der erste Pick – oder besser gesagt, das Recht auf Cade Cunningham. Der 19-Jährige von Oklahoma State wird höchstwahrscheinlich als erster Spieler dieses Draftjahrgangs die Hand von Comissioner Adam Silver schütteln. Da die Pistons mit Killian Hayes bereits bei der letzten Talentziehung einen Point Guard verpflichtet haben, scheint die Aussicht von Cunningham in Detroit noch nicht in Stein gemeißelt zu sein. Aber es wäre eine große Überraschung, wenn sich die Pistons diese Chance entgehen lassen. Zumal ein Backcourt mit Cunningham UND Hayes durchaus funktionieren könnte. Der Franzose verpasste einen Großteil seiner Rookie-Saison verletzungsbedingt, zeigte aber mit 6.8 Punkten und 5.3 Assists in 25.8 Minuten pro Partie vielversprechende Ansätze. Ob er schon bald einen großen Entwicklungsschritt machen kann (und wie gut er an der Seite von Cunningham wäre), hängt von seinem Wurf ab, bei dem noch viel Luft nach oben ist (27.8% Dreierquote).

Mit Saddiq Bey und Isaiah Stewart zeigten zwei weitere Rookies, dass sie eine langfristige Zukunft in Detroit haben könnten. Die große Geschichte in einer ansonsten von vielen Niederlagen geprägten Saison war natürlich Jerami Grant. Seine Verpflichtung in der Offseason hatte vielerorts für Stirnrunzeln gesorgt. Beide Seiten wurden dabei kritisiert: Sowohl Grant, der sich wohl nicht mehr als Mitläufer in Denver, sondern als erste Option in Detroit sah, als auch die Pistons, die einem in dieser Rolle unerfahrenen Spieler in drei Jahren 60 Millionen Dollar überweisen wollten. Grant ließ die Kritiker mit 22.3 Punkten pro Partie verstummen und wurde hinter Julius Randle Zweiter im MIP-Voting.

Die Pistons haben schon jetzt einige spannende Spieler in ihren Reihen und werden ihren Kader aller Voraussicht nach um einen potenziellen Superstar erweitern. Cunningham, Grant, Hayes und Co. werden Detroit nicht über Nacht zu einem Meisterschaftskandidaten machen. Aber die Zukunft in der Motor City sieht nach einer Saison voller Tanking vom Feinsten und dem nötigen Quäntchen Lottery-Glück auf einmal wieder deutlich rosiger aus.

Back to top