1: Steiniger Weg zum WM-TItel
Die Spanier also. Dass die deutsche Mannschaft bereits in der Gruppenphase der WM in Katar auf einen großen Brocken des Weltfußballs treffen könnte, war im Vorfeld der Auslosung am Freitagabend bereits klar. Dass dieser Brocken allerdings Spanien sein würde, ist doch eine kleine Hiobsbotschaft für die DFB-Elf, haben sich die Spanier doch in den letzten Jahren zu einer Art Angstgegner entwickelt. Die Niederlagen im EM-Finale 2008 und WM-Halbfinale 2010 liegen schon eine Weile zurück, und natürlich ist Spanien nicht mehr die Supermacht vergangener Tage. Doch die 0:6-Klatsche im November 2020, die fast zu einem vorzeitigen (oder rechtzeitigen?) Ende von Joachim Löws Amtszeit geführt hätte, steckt noch tief in Knochen und Gedächtnis.
Zumal die Furia Roja spätestens bei der Europameisterschaft im vergangenen Jahr bewiesen hat, dass sie wieder auf Kurs in Richtung Elite ist. Die Spanier bereits in den Favoritenkreis für das kommende Turnier zu befördern, scheint mir bei ihrem jungen Kern noch etwas verfrüht, aber wer weiß? Die Qualität für eine erfolgreiche WM ist allemal da, ebenso wie bei der deutschen Mannschaft.
Ich muss gestehen, die DFB-Elf unter Hansi Flick erst einmal gesehen zu haben, daher konnte ich mir noch kein Bild von ihrem fußballerischen Ansatz machen. Was man so hört und liest, macht Mut, ebenso wie die acht Siege in Flicks ersten acht Spielen (gegen gelinde gesagt unterlegene Gegner, aber sei’s drum). Beim ersten echten Härtetest, einem 1:1-Remis gegen die Niederlande, waren sowohl vielversprechende als auch besorgniserregende Ansätze zu erkennen. Offensivpower, Pressing, schönes Ballbesitzspiel wurden gepaart mit einer Anfälligkeit bei Kontern und hohen Bällen, unter der schon Flicks Triple-Bayern immer wieder litten.
Ebenso wie die Spanier befindet sich Deutschland inmitten eines Umbruchs, der mit dem Ende der 15-jährigen Ära Löw eingeläutet wurde. Auf beiden Seiten ist die Basis für erfolgreiche Jahre bereits vorhanden, ebenso wie der ein oder andere Makel, den es noch auszubügeln gilt. Das direkte Duell dieser beiden aufstrebenden Teams dürfte eines der interessantesten Spiele der WM-Gruppenphase werden.
Trotz des Aufeinandertreffens mit dem iberischen Angstgegner ist das Erreichen des Achtelfinales absolute Pflicht für „Die Mannschaft“. Japan ist zwar ein traditionell unangenehmer Gegner, tat sich jedoch in der Asien-Qualifikation enorm schwer und landete sogar hinter Saudi-Arabien auf Rang 2. Auch Costa Rica und Neuseeland, die das vierte Ticket für die Gruppe E unter sich ausspielen, sollten zwar nicht unterschätzt werden, sind aber dennoch bei Weitem nicht auf dem Level der DFB-Elf.
Der Gruppensieg wäre vermutlich nötig, um nicht schon im Achtelfinale auf Belgien zu treffen. Kroatien, Kanada und Marokko – die anderen Teams aus Gruppe F, meiner Lieblingsgruppe – sind ebenfalls extrem spannende Mannschaften, wären aber wohl machbare Gegner für die Deutschen. Im Viertelfinale würde ein Gegner aus Gruppe G oder H warten – wenn es aus deutscher Sicht dumm läuft, Brasilien oder Portugal. Im Worst-Case-Szenario aus deutscher Sicht müsste man also schon gegen Spanien, Belgien und Brasilien spielen, bevor man überhaupt das Halbfinale erreicht hat – in dem dann Teams wie Frankreich, England und Argentinien ins Spiel kommen könnten.
Was bedeutet die Auslosung denn nun für die deutschen WM-Hoffnungen? Kapitän Manuel Neuer kündigte bereits an, dass der Titel das erklärte Ziel ist. Tut man sich im DFB-Lager mit solch hohen Erwartungen einen Gefallen? Der Weg ins (Halb)Finale könnte äußerst steinig werden, selbst wenn wir eine deutsche Mannschaft in Top-Form erleben. Ich traue Flick und seinem Team wirklich einiges zu, aber angesichts des potenziellen Mammutprogramms sollte man sich Stand jetzt noch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Bis zur WM werden wir die DFB-Jungs unter anderem noch jeweils zweimal gegen Italien und England erleben, vielleicht lassen sich dann die ersten dezidierten Prognosen für Katar treffen.
2: Greek Freak!
Nach seinem 50-Punkte-Meisterwerk, mit dem er die Milwaukee Bucks zum NBA-Champion krönte, schien Giannis Antetokounmpo auf dem Zenit seiner Fähigkeiten zu sein. In den Augen vieler, inklusive mir, verdiente er sich die Krone des besten Spielers des Planeten. Und doch waren seine Schwächen noch immer offensichtlich. Trotz all der unbändigen Dominanz hielten ihn der wacklige Wurf und die Schwierigkeiten an der Freiwurflinie weiterhin zurück. Es stellte sich also die berechtigte Frage: Könnte der griechische Über-Athlet tatsächlich noch besser werden?
Ich mach’s kurz: Ja, konnte er! Der Greek Freak trifft in dieser Saison 43.2% seiner Würfe aus der langen Mitteldistanz (16 Feet bis zur Dreierlinie). Ein wenig Kontext gefällig? Die folgenden Spieler kommen aus diesem Bereich nicht auf eine so starke Quote: LeBron James, Luka Dončić, Jayson Tatum, Kyrie Irving, Zach LaVine. Auch aus etwas kürzerer Distanz (10 bis 16 Feet) ist seine Treffsicherheit (41.3%) inzwischen mehr als passabel. Giannis nimmt mehr Midrange-Jumper als je zuvor und trifft diese besser als je zuvor. Seine Dreierquote liegt zwar noch immer nur bei knapp über 30%, aber immerhin nimmt er weniger zum Kopfschütteln verleitende Pull-Up-Dreier aus dem Dribbling. (Letzte Saison waren nur 29.9% seiner Dreier assistiert, dieses Jahr sind es 42%.)
Auch an seinen Freiwürfen hat der Grieche in der Offseason gearbeitet. Sein Ritual ist schneller und flüssiger, seine Form sieht besser aus. In der Regular Season 2020/21 traf er noch 68.5% seiner Versuche von der Linie, in den Playoffs stürzte dieser Wert auf 58.7 ab. In dieser Saison trifft Giannis 72.3% seiner Freiwürfe und ich glaube nicht, dass er in der Postseason wieder derart einbrechen wird. Noch dazu hat Giannis in dieser Saison sein Playmaking auf ein neues Level gehoben, er spielt Pässe, die man ihm vor ein paar Jahren nie im Leben zugetraut hätte. Und all das, obwohl er über weite Strecken dieser Saison ohne seinen gewohnten Nebenmann Brook Lopez auskommen musste. Laut Cleaning the Glass verbrachte Giannis 34% seiner Minuten als Center, mit Abstand der höchste Wert seiner Karriere.
Eine zum Teil den Umständen angepasste Rolle, offensiv wie defensiv, hielt ihn nicht davon ab, auch in diesem Jahr wieder Abend für Abend irre Zahlen aufzulegen. 30.1 Punkte, 11.7 Rebounds und 5.8 Assists pro Spiel sind es derzeit. Man kann es nicht oft genug betonen: Das ist nicht normal! Inklusive dieser Saison ist es in der NBA-Geschichte genau fünfmal passiert, dass ein Spieler mindestens 25 Punkte, zehn Rebounds, fünf Assists, einen Block und einen Steal pro Partie auflegt. Drei (!) dieser Saisons gehen auf das Konto von Giannis – 2018/19, 2020/21 und die laufende Spielzeit. Larry Bird (1984/85) und Kareem Abdul-Jabbar (1975/76) schafften es jeweils einmal.
In seinen letzten beiden Spielen hat der 27-Jährige nochmals ein dickes Ausrufezeichen gesetzt: 40 Punkte (und ein spielentscheidender Block gegen Joel Embiid) in Philadelphia, 44 Zähler in Brooklyn, jeweils 14 Rebounds und sechs Assists. Je näher die Playoffs rücken, umso mehr fragt sich die Konkurrenz: Wer soll diesen Typen stoppen? Wie kann man ihn wenigstens ein bisschen herunterbremsen? Dass Giannis nicht der eindeutige Favorit auf seinen dritten MVP-Titel ist, hat er einzig und allein den genauso absurden Leistungen seiner Big-Man-Kollegen Joel Embiid und Nikola Jokić zu verdanken.
3: War’s das für die Celtics?
Die Boston Celtics waren die spannendste NBA-Story der letzten Monate. Das Team, das vor der Jahreswende noch mit einer Bilanz von 17-19 dastand, gewann seit dem 1. Januar starke 31 seiner 42 Spiele und hat in dieser Zeit das beste Net-Rating der NBA (+11.0). Die Starting Five der Celtics – Marcus Smart, Jaylen Brown, Jayson Tatum, Al Horford und Robert Williams – ist sogar über die komplette Saison hinweg mit einem Net-Rating von +24.6 die mit Abstand beste Lineup der Liga (mindestens 200 Minuten).
Boston stand in den Eastern-Conference-Standings plötzlich ganz oben und schien gewappnet für einen fulminanten Playoff-Run. Doch jetzt hat der Meniskus von Robert Williams der Traditionsfranchise einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Verletzung wird den 24-Jährigen vier bis sechs Wochen außer Gefecht setzen, die Kelten können also erst in der zweiten Runde, vielleicht sogar erst in den Conference Finals, wieder auf ihn bauen. Williams war während dieser überragenden Phase einer der Schlüsselspieler für den Erfolg seiner Mannschaft. Headcoach Ime Udoka setzte den bulligen Big defensiv als Backline-Roamer und Weakside-Helper ein, abgestellt auf einen eher ungefährlichen Gegenspieler. Williams wurde – neben Point-of-Attack-Monster Marcus Smart – zum Herzstück der besten Defensive der NBA. Mit der oben genannten Starting Five verfügte man in Smart, Brown und Tatum über drei exzellente Perimeter-Verteidiger und in Horford und Williams über zwei versatile Bigs. Offensiv bringt der Time Lord ein Skillset als dynamischer Abroller im Pick-and-Roll mit, das man ansonsten im Kader der Celtics vergeblich sucht.
Müssen die Finals-Hoffnungen in Boston nun also frühzeitig begraben werden? In einer perfekten Welt überstehen sie die ersten beiden Runden, Time Lord ist in den Conference Finals wieder bei 100% und die Defense so stark wie eh und je. Selbst in diesem Szenario würde ich die Bucks und 76ers allerdings in einer möglichen Serie tendenziell favorisieren. Gerade offensiv möchte ich erst einmal sehen, ob Tatum, Brown und Co. auch in den Playoffs auf diesem hohen Level abliefern können. Auch gegen die Heat und Nets würde ich die Celtics in Bestbesetzung nicht als klaren Favoriten sehen. Und was ist, wenn sie eben nicht in Bestbesetzung sind? Oder wenn Williams nicht sofort wieder in Top-Form ist? Bei aller Liebe traue ich es Daniel Theis und Grant Williams nicht zu, den Time Lord adäquat zu ersetzen. Für Boston wäre die Saison wohl ein paar Wochen früher vorbei, als man sich das noch vor wenigen Tagen hätte erträumen können. Kein Weltuntergang für ein Team, das ihre jungen Leistungsträger langfristig unter Vertrag hat, aber dennoch eine verpasste Chance in diesem völlig offenen Titelrennen.