1: Enttäuscht und enttäuschend
Die Saison von Borussia Dortmund ist im Grunde vorbei. Als am Donnerstagabend im Ibrox Stadium zu Glasgow der Schlusspfiff des Rückspiels zwischen dem BVB und den Rangers ertönte, blickte man in enttäuschte Dortmunder Mienen. Nachdem der unrühmliche Abgang von der diesjährigen europäischen Bühne nun besiegelt ist, bleibt den Schwarz-Gelben einzig und allein die theoretische Chance auf die Meisterschaft. Doch obwohl der Branchenprimus aus München derzeit nicht gerade vor Übermächtigkeit strotzt, traue ich dieser Dortmunder Mannschaft einen letzten Angriff auf die Schale einfach nicht zu.
Sollte man die zehnte Münchner Meisterschaft in Serie also nicht doch noch verhindern können, wird das schwarz-gelbe Saisonfazit sehr negativ ausfallen. In der Gruppenphase der Champions League zogen Marco Rose und seine Mannschaft gegen Ajax Amsterdam und Sporting Lissabon den Kürzeren. Im DFB-Pokal blamierte man sich gegen Zweitligist St. Pauli. Und nun das nicht weniger überraschende Ausscheiden in der Zwischenrunde der Europa League gegen die Glasgow Rangers. Wie konnte das passieren?
Zunächst schaffe ich den Elefanten aus dem Raum: Ja, der BVB hatte in den letzten Monaten übermäßiges Verletzungspech. Wobei man selbst in diesem Punkt den Trainerstab nicht komplett von Schuld freisprechen kann. Als Marco Rose zur Saison 2019/20 als Chefcoach in Gladbach anheuerte, hatte auch die andere Borussia enorm mit verletzungsbedingten Ausfällen zu kämpfen. Ist der Trainingsplan nicht gut genug auf die körperliche Belastung, die mit Roses Vollgas-Philosophie einhergeht, abgestimmt? Gerade für diesen Dortmunder Kader, der bis auf wenige Ausnahmen noch für den behäbigen Ballbesitzfußball von Lucien Favre zusammengestellt wurde, scheint die massive Umstellung nicht reibungslos zu verlaufen.
Genau hier liegt das nächste Problem, das in den letzten Wochen und Monaten ans Licht kam: Dieser Kader passt nicht zu dem Fußball, den sich Marco Rose vorstellt. Hohe Intensität, aggressives Pressing und Gegenpressing, schnelle, vertikale Gegenstöße – der 45-Jährige ist nach seiner Zeit in Salzburg in vielerlei Hinsicht ein Anhänger der RB-Schule geblieben. Viele der Dortmunder Veteranen – Mats Hummels, Marco Reus, Julian Brandt und Axel Witsel – passen schlichtweg nicht zu der Spielidee, die Rose bei seinem neuen Arbeitgeber zu sähen versucht. Ein Großteil des Kaders wurde noch in der Ära Favre konstruiert und tut sich demnach logischerweise schwer, die Anforderungen des neuen Trainers zu verinnerlichen. Sicherlich ist Marco Rose nicht unschuldig an den vielen Enttäuschungen der laufenden Saison. Doch zu erwarten, dass er mit dieser Mannschaft regelmäßig Gegner überrollen würde, war von Anfang an utopisch. Es ist, als hätte man ihm ein Puzzle des Eiffelturms gegeben, dann aber erwartet, dass am Ende das Brandenburger Tor zu sehen ist.
Dem BVB steht im Sommer der nächste Umbruch bevor. Mit der Verpflichtung von Niklas Süle ist man bereits einen Schritt in die richtige Richtung gegangen. Mit dem wahrscheinlichen Abgang von Erling Haaland wird man jedoch gleichzeitig mehrere Schritte zurückgeworfen. Jude Bellingham war einer der wenigen konstanten Lichtblicke dieser Saison – seine Rolle könnte in naher Zukunft noch größer werden. Man muss hoffen, dass Reus, Hummels und Co. im Spätherbst ihrer Karriere weiterhin zu den Leistungsträgern gehören können. Vor allem aber braucht die Borussia mehr Spieler, die für Roses aggressiven Fußball prädestiniert sind. Karim Adeyemi zum Beispiel, dessen Verpflichtung die Dortmunder angeblich ins Auge gefasst haben. Im Rahmen anderer Gerüchte ist die Rede von Lilles Jonathan David, auch das fände ich extrem spannend. Wird man mithilfe solcher personellen Veränderungen die Bayern nächstes Jahr einholen können? Vermutlich nicht. Kann Marco Rose die Schwarz-Gelben in den nächsten Jahren mit einem auf ihn zugeschnittenen Kader wieder zum einem Meisterschaftsanwärter machen? Vielleicht. Jürgen Klopp hat das einst geschafft. Ich habe meine Zweifel, ob Rose der nächste Kloppo sein kann. Aber Borussia Dortmund bleibt nichts anderes übrig, als auf diese Karte zu setzen.
2: Barça macht endlich wieder Spaß
Am 15. August, dem allerersten Spieltag in La Liga, erzielte der FC Barcelona vier Tore beim 4:2-Sieg über Real Sociedad. Fast sechs Monate und einen Trainerwechsel später gelang das den Katalanen erstmals erneut – am 6. Februar, beim 4:2 gegen Titelverteidiger Atletico Madrid. In der Zwischenzeit hatte es unzählige zähe Spiele gegeben, in denen sich die einstige Supermacht erschreckend schwertat, zu hochprozentigen Torchancen zu kommen. Vier Tore in einem Spiel? Das schien monatelang geradezu utopisch zu sein – auch nachdem Club-Legende Xavi das Traineramt des in Ungnade gefallenen Ronald Koeman übernommen hatte. Long story short: Barça erzielte in der vergangenen Woche gegen Valencia, Napoli und Bilbao gleich dreimal in Folge vier Tore in einer Partie. Erleben wir gerade einen nachhaltigen Trend? Oder wird die Blaugrana schon bald wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt sein?
Dass Barças Offensive in den letzten Wochen wieder so potent erscheint, ist kein Zufall. Denn Xavis Spielweise basiert – den Erwartungen vieler Experten zum Trotz – nicht auf totaler Ballkontrolle und bedachtem Spielaufbau. Sowohl offensiv als auch im Spiel gegen den Ball agieren die Katalanen sehr aggressiv, verlagern das Geschehen so oft wie möglich in die gegnerische Hälfte. Mit einigen taktischen Kniffen sorgt Xavi dafür, dass sein Team stets vier oder fünf Optionen auf dem Weg ins letzte Angriffsdrittel hat. Ein Beispiel: Jordi Alba und Rückkehrer Dani Alves kippen im eigenen Ballbesitz oft auf die Sechs ab, was es den beiden Achtern in Xavis 4-3-3-System erlaubt, zwischen den gegnerischen Linien aufzutauchen und so zu Kombinationen mit den drei Angreifern zu kommen. Vor allem Frenkie de Jong blüht in dieser offensiveren Rolle auf, inklusive jeweils einem Tor gegen Valencia und Napoli.
Im winterlichen Transferfenster setzten die Katalanen ein klares Zeichen, in welche Richtung ihr Spiel in Zukunft gehen soll: Mit Pierre-Emerick Aubameyang und Adama Traoré kamen zwei pfeilschnelle Stürmer, die mit ihren tiefen Läufen Löcher in die gegnerische Defensive reißen. Traorés 4.5 erfolgreiche Dribblings pro 90 Minuten suchen europaweit ihresgleichen. Und Aubameyang ist mit fünf Toren in den letzten drei Partien voll eingeschlagen. Mit den beiden und Memphis Depay, der sich nach längerer Verletzungspause direkt mit einem Treffer gegen Valencia zurückmeldete, stellt Barças plötzlich ein Offensiv-Trio mit viel Erfahrung und Torgefahr.
Dennoch bin ich der Meinung, dass sich Barça-Fans noch keiner verfrühten Euphorie hingeben sollten. Trotz der starken Leistungen zuletzt darf nicht in Vergessenheit geraten, dass der Beginn von Xavis Amtszeit nicht gerade berauschend war. Diese Mannschaft wird noch Zeit brauchen, um die Ideen ihres neuen Trainers vollkommen zu verstehen. Zumal Xavi seine favorisierte Stammelf noch immer nicht gefunden zu haben scheint. Aber wie ich schon nach der Verpflichtung des Spaniers schrieb: Die Katalanen verfügen über einen beachtlichen Kern an jungen Spielern, die schon jetzt an der Weltklasse kratzen. Pedri, Gavi, Ansu Fati, Nicho und Co. könnten den gebeutelten Club mittelfristig wieder zum Flaggschiff des spanischen Fußballs machen. Mit Xavi scheinen sie den richtigen Lehrmeister bereits gefunden zu haben.
3: 78,47 Euro pro Monat
Vergangenen Donnerstag war der Zeitpunkt gekommen: Ich musste mir RTL+ zulegen. Um das Europa-League-Spiel zwischen Barça und Napoli sehen zu können, führte kein Weg an diesem Schritt vorbei. Es ist ein weiteres Level der Absurdität, die exzessiver Fußball-Konsum im Jahr 2022 mit sich bringt.
Die BILD würde jetzt vom „Streaming-Gaga“ schreiben. Spätestens seit DAZN seine Preiserhöhung im Monatsabo von 12,99 auf 29,99 angekündigt hat, ist die Empörung vieler Fußballfans immer lauter zu vernehmen. Denn wer alle Spiele der Bundesliga und der europäischen Wettbewerbe verfolgen möchte, der braucht inzwischen vier verschiedene Streaming-Dienste – für fast 80 Euro monatlich! 29,99 für DAZN, jeweils 7,99 für RTL+ und Amazon Prime sowie 32,50 für das Sport-Paket von Sky. (Nach den ersten zwölf Monaten werden daraus 40 Euro, aber wir bleiben in diesem Rechenbeispiel gutmütig mal bei 32,50.)
Für jemanden wie mich, der Fußballverrücktheit auf die Spitze treibt und an einem normalen Sonntag sieben Spiele aus vier Ligen mindestens im Liveticker verfolgt, sind diese Ausgaben alternativlos. Ich habe keine andere Wahl, als dabei zuzusehen, wie sich vier verschiedenen Streaming-Anbietern genüsslich mein Geld in die Tasche stecken. Aber wie geht es anderen Fans, die verständlicherweise nicht dazu bereit oder in der Lage sind, fast 80 Euro monatlich für Live-Fußball auszugeben? Sie entfernen sich immer weiter von den kommerzialisierten Strukturen des Sports. Sie wenden sich ab von Bundesliga, Champions und Europa League. Es ist der traurige Schatten einer schon jetzt milliardenschweren und stetig weiterwachsenden Branche.
Ein Ende dieses Trends ist nicht in Sicht. So astronomisch diese Preise inzwischen auch sind – der Markt rechtfertigt sie. Weder die sündhaft teure Vergabe der TV-Rechte noch andere Spinnereien (Hust… eine WM alle zwei Jahre… Hust…) wären möglich, wenn das entsprechende Interesse der Rezipienten nicht bestehen würde. Es bleibt also die traurige Erkenntnis: Wer sich nicht von diesem ganzen Zirkus abwenden möchte, dem bleibt nichts anderes übrig, als weiterhin für mehrere Streaming-Anbieter zu blechen.