MixedZone (21)

Ein neues Jahr ist zugleich auch immer eine perfekte Gelegenheit, das vergangene Jahr Revue passieren zu lassen. In der heutigen MixedZone geht es ausnahmsweise mal nicht um Fußball oder Basketball. Heute beschäftige ich mich mit drei Geschichten, die die (restliche) Sportwelt im Jahr 2021 geprägt haben.

1: Verstappens verdienter WM-Titel

22 Rennen, 1.297 Runden, insgesamt 6.409,651 Kilometer – und trotzdem wurde die Formel-1-Weltmeisterschaft erst in der letzten Runde des letzten Wettkampfs entschieden! Das Kopf-an-Kopf-Rennen, das sich Max Verstappen und Lewis Hamilton zwischen dem 28. März und dem 12. Dezember geliefert haben, war an Spannung und Hochklassigkeit kaum zu überbieten. Vor dem Großen Preis von Abu Dhabi lagen der Niederländer und der Brite punktgleich an der Spitze der Fahrerwertung. Das hatte es in der 75-jährigen Geschichte der Formel 1 erst einmal gegeben – 1974, als der Wettbewerb noch „Automobil-Weltmeisterschaft“ hieß. Bis zu eben jener letzten Runde sah es danach aus, als würde sich der 36-jährige Routinier zum Weltmeister krönen – zum fünften Mal in Folge, zum siebten Mal in acht Jahren und zum achten Mal insgesamt, was ihn zum alleinigen Rekordhalter gemacht hätte. Aber Verstappen – das einstige Supertalent, das schon seit Jahren in der Weltspitze mitfährt, aber nie den letzten Schritt machen konnte – sorgte mit seinem spektakulären Überholmanöver doch noch für grenzenlosen Jubel im Red-Bull-Team.

Dass im Nachhinein mindestens genauso viel über Renndirektor Michael Masi diskutiert wurde, wie über Verstappens großen Triumph, ist verständlich und schade zugleich. Mit seiner kontroversen Entscheidung, einige zuvor überrundete Fahrer in einer Safety-Car-Phase kurz vor Schluss am führenden Hamilton vorbeiziehen zu lassen, sodass sich Verstappen (mit frischeren Reifen) direkt hinter seinem Widersacher einordnen konnte, sorgte Masi für reichlich Zündstoff. Red Bull und Verstappen profitierten enorm von der zwar legalen, aber höchst ungewöhnlichen Entscheidung, weshalb die Kritik und die Aufregung im Mercedes-Lager durchaus nachvollziehbar sind. Dennoch sollte man nicht den Fehler machen, Verstappens WM-Titel deshalb als unverdient oder gar ergaunert zu bezeichnen.

Der 24-Jährige galt zu Beginn seiner Karriere als Wunderkind und die Zukunft des Sports. Bei seinem Debüt-Rennen war er 17 Jahre und 163 Tage alt – Rekord. Jüngster Fahrer mit WM-Punkten, jüngster Fahrer auf dem Podest, jüngster Grand-Prix-Sieger – der Niederländer schnappte sich einen Rekord nach dem anderen. Bereits in seiner zweiten Saison (2016) wurde er Fünfter in der Gesamtwertung, ein Jahr später Sechster, dann Vierter. 2019 und 2020 beendete er jeweils auf Rang 3. Jetzt kann er sich „endlich“ Weltmeister nennen – ist es der Beginn einer neuen Ära in der Formel 1? Könnte Verstappen der nächste Hamilton werden und den Sport über Jahre hinweg dominieren? Zuzutrauen ist es ihm allemal. Ein weiterer Rekord, der in den Geschichtsbüchern der Formel 1 nun mit Verstappens Namen versehen ist, unterstreicht seine Extraklasse in diesem Jahr: In 18 von 22 Rennen landete er auf dem Podium. Dieses beeindruckende Level an Konstanz über eine Saison hinweg hat vor ihm noch niemand erreicht.

(Fun Fact für diejenigen unter euch, die – so wie ich – die Formel 1 nicht so intensiv verfolgen: Wenn ein Fahrer ein Rennen von der Pole Position aus beginnt, jede Runde als Führender beendet und die schnellste Rennrunde fährt, spricht man von einem Grand Slam. Beim Großen Preis von Österreich wurde Max Verstappen im Alter von 23 Jahren und 277 Tagen zum jüngsten Fahrer, dem ein solches „perfektes Rennen“ gelang.)

2: Das Jahr des Alexander Zverev

Apropos Grand Slam… Dass Alexander Zverev das Potenzial mitbringt, um eines Tages in der Weltelite des Tennis mitmischen zu können, ist schon seit Jahren ersichtlich. Auch wenn es der 24-Jährige 2021 noch nicht geschafft hat, einen Grand Slam zu gewinnen, war es doch das mit Abstand erfolgreichste Jahr seiner Karriere – und vielleicht sein großer Durchbruch.

Am 1. August wurde Zverev in Tokio zum ersten deutschen Olympiasieger im Herreneinzel. Beim Final-Triumph gegen den Russen Karen Chatschanow präsentierte sich der Hamburger von einer Seite, die er in den ersten Jahren seiner Laufbahn zu oft vermissen ließ. Zverev schien das gesamte Jahr, und insbesondere das Olympische Turnier, mit einer neu gewonnen Ruhe und Reife anzugehen. Immer wieder betonte er, wie wichtig es ihm sei, den Titel in Tokio „für Deutschland“ zu holen, nicht für sich selbst. Zverev scheint sich seiner Rolle als Gesicht des deutschen Tennis bewusster zu sein als je zuvor. In dieser blüht er derzeit auf – und wurde ihr mit den entsprechenden Erfolgen auch gerecht. Der Erfolg bei den ATP-Finals im November war nach 2018 der zweite WM-Titel seiner Karriere und gleichzeitig ein passendes Ende dieses außergewöhnlichen Jahres.

Fehlt also nur noch der lang ersehnte Grand-Slam-Titel… Bei Wimbledon scheiterte Zverev im Achtelfinale, bei den Australian Open im Viertelfinale, bei den French und US Open war jeweils im Halbfinale Endstation. Das große Ziel des Weltranglisten-Dritten für das Jahr 2022 ist dementsprechend kein Geheimnis. Wenn Zverev die Form, die wir im vergangenen Jahr von ihm gesehen haben, wieder abrufen kann, hat er gute Chancen auf diesen nächsten Karriereschritt. Zumal sich die Ära der Big Three ihrem Ende zuneigt. Rafael Nadal (36) und Roger Federer (40) haben im fortgeschrittenen Alter immer mehr mit Verletzungen zu kämpfen. Novak Djokovic konnte zwar 2021 bei drei Grand Slams triumphieren und führt die Weltrangliste noch immer souverän an, aber auch er könnte im Alter von 34 Jahren langsam, aber sicher seinen Zenit erreichen. Zverev konnte ihn sowohl bei Olympia als auch bei den ATP-Finals jeweils im Halbfinale bezwingen – das sollte dem Deutschen Mut für die kommenden Turniere machen.

3: Der schönste Moment des Sportjahres

Mutaz Essa Barshim und Gianmarco Tamberi bescherten uns am 4. August den schönsten Moment des Sportjahres 2021. Die beiden Hochspringer waren im Finale der Olympischen Spiele soeben jeweils dreimal an der 2,39-Meter-Marke gescheitert. Beide hatten die ersten Höhen – inklusive 2,37 Meter – fehlerfrei übersprungen.

Was zu diesem Zeitpunkt viele noch nicht wussten: Der 30-Jährige aus Katar und der 29-jährige Italiener hatten über viele Jahre hinweg trotz des regelmäßigen Kräftemessens eine Freundschaft entwickelt. Beide mussten verletzungsbedingt in ihrer Karriere schon schwere Zeiten durchmachen und konnten sich phasenweise nicht sicher sein, ob sie überhaupt noch bei Wettkämpfen an den Start gehen würden. Barshim wurde 2017 und 2019 Weltmeister, für Tamberi waren die EM- und Hallen-WM-Titel 2016 die größten Erfolge. Für beide war eine Goldmedaille bei Olympia der große, unerfüllte Traum.

Anstatt in einem Stechen den alleinigen Sieger zu ermitteln, entschieden sich die beiden Hochspringer für eine ganz besondere Variante: „Can we have two golds?“ Der Wettkampfrichter antwortete mit einem knappen „It’s possible“, bevor er den Athleten ihre weiteren Optionen erklärte. Doch Barshim und Tamberi hörten schon nicht mehr zu. Barshims nächster Satz war der Beginn eines emotionalen Moments der puren Euphorie: „Let’s make history, my friend!“ Für den Italiener gab es kein Halten mehr. Sofort sprang er seinem Freund und Kontrahenten in die Arme, nur um wenige Minuten später seinen Landsmann Lamont Jacobs, der sich im 100-Meter-Rennen die Goldmedaille schnappte, auf der Zielgeraden der Rennbahn zu erwarten.

An der Quelle jedes Wettkampfs liegt der unbedingte Wille eines Sportlers, der Beste zu sein. Doch Mutaz Essa Barshim und Gianmarco Tamberi haben der Welt gezeigt, dass es nicht immer den einen Sieger geben muss. Und dabei haben sie Sportfans auf der ganzen Welt einen unvergesslichen Moment geschenkt. Mal ehrlich, an wie viele Hochsprung-Wettkämpfe könnt ihr euch erinnern? Zumindest dieser wird denjenigen, die ihn live verfolgt haben, für immer im Gedächtnis bleiben.

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