1: Das weiße Ballett tanzt wieder
Der Einstieg in diesen Abschnitt wäre am gestrigen Nachmittag wesentlich imposanter gewesen. Dann hätte ich nämlich von der beeindruckenden Zehn-Spiele-Siegesserie schreiben können, die Real Madrid gerade regelrecht aus dem Ärmel schüttelt. Ich hätte davon geschwärmt, wie das Team von Carlo Ancelotti Inter Mailand in der Champions League sowie Real Sociedad, Sevilla und Stadtrivale Atlético in der Liga verdientermaßen geschlagen hat. Aber ich dachte mir: „Warte noch den Sonntagabend ab, dann sind es elf Siege in Folge. ‚Elf-Spiele-Siegesserie‘ hört sich noch cooler an.“ Tja, was hatte ich erwartet? Natürlich versaut mir Real meinen Einstieg mit einem torlosen Unentschieden gegen Cádiz.
Das wenig inspirierende 0:0 sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Königlichen in den letzten Wochen in bestechender Form sind. Ancelottis Elf ist nun seit 14 Spielen ungeschlagen. Das Team umgibt nach Jahren der Verwundbarkeit und Inkonstanz wieder diese unausweichliche Aura, die lange das große Markenzeichen war. Real strahlt eine gewisse Souveränität aus. Die Blancos brennen nicht in jedem Spiel das große Feuerwerk ab, aber sie gewinnen dann einfach trotzdem.
Reals Erfolg fängt in der Defensive an. Thibaut Courtois ist in der Form seines Lebens. Éder Militão und David Alaba haben sich innerhalb weniger Wochen zu einem Weltklasse-Duo in der Innenverteidigung entwickelt. Casemiro ist und bleibt einer der besten defensiven Sechser der Welt. Folglich kassierte das königliche Bollwerk in diesen 14 Spielen ohne Niederlage nur sechs Gegentore. Auch an vorderster Front läuft es aktuell richtig gut. Karim Benzema landete meiner Meinung nach völlig zurecht in den Top-5 des Ballon-d’Or-Votings. (Ich finde es sogar fragwürdig, dass er hinter Jorginho nur auf Rang 4 gelandet ist.) Vinícius Júnior spielt bislang eine wahre Breakout-Saison und sammelte bereits 19 Torbeteiligungen in Königsklasse und La Liga. Neben den beiden Stars komplettieren Marco Asensio, Rodrygo oder Eden Harzard die variabel rotierende offensive Dreierreihe, die jede Defensive der Welt vor eine große Herausforderung stellt. Das Herz der Königlichen ist aber natürlich das Mittelfeld-Duo Toni Kroos und Luka Modrić. Wie die beiden Routiniers in ihrem fortgeschrittenen Alter noch immer Spiele nach Belieben an sich reißen und lenken können, ist einfach beeindruckend.
Auch Coach Carlo Ancelotti trägt seinen Teil zum Erfolg Reals bei. Der Italiener war schon immer ein Trainer, der belastbare Beziehungen zu seinen Spielern aufbaut und dessen Worte in der Kabine Gehör finden. In dieser Saison brilliert der 62-Jährige aber auch mit einer bemerkenswerten taktischen Flexibilität, für die er eigentlich eher nicht bekannt ist. Die Madrilenen können ihrem Kontrahenten auf jeder erdenklichen Art wehtun. Egal ob geduldiges Ballbesitzspiel oder schnelle Konter, egal ob Abwehr- oder Angriffspressing – Ancelotti hat aktuell alles in seinem taktischen Repertoire. Ein Beispiel: Seine Außenverteidiger – im Idealfall Dani Carvajal und Ferland Mendy – werden in dieser Saison oftmals kreativ eingesetzt. Mal tauchen sie als De-Facto-Sechser auf und kurbeln den Spielaufbau an, mal sorgen sie mit tiefen Läufen in den Halbräumen für Verwirrung in der gegnerischen Hintermannschaft. Mit solchen taktischen Kniffen hat es Ancelotti geschafft, aus dem königlichen Star-Ensemble eine funktionierende Einheit zu formen.
Mit den Siegen über Sevilla und Atlético hat sich Real Madrid im spanischen Titelrennen die Pole Position gesichert. Mit sechs Punkten Vorsprung vor den Andalusiern und einem 14-Punkte-Polster auf den Stadtrivalen sind die Blancos der klare Favorit auf die Meisterschaft. Die spannendere Frage ist: Wie weit kann es in der Champions League gehen? Ich bin fest davon überzeugt, dass Real nicht als Außenseiter in das Achtelfinal-Duell mit Paris Saint-Germain geht. Auch wenn bis Mitte Februar noch viel passieren kann, könnte dem Superteam aus der französischen Hauptstadt seine Dysfunktionalität gegen die eingespielte Souveränität der Madrilenen zum Verhängnis werden. Auf dem potenziellen Weg ins Finale der Königsklasse würde zwar vermutlich der ein oder andere weitere Brocken (City, Liverpool, Chelsea, Bayern) warten, aber wenn die Königlichen ihre aktuelle Form über den Winter hinweg konservieren können, dann muss sich jedes Team vor ihnen in Acht nehmen.
2: Agueroooooooo
„Manchester City are still alive here. Balotelli… Agueroooooooo!!!” Diese legendären Worte wurden einst von Sky-Kommentator Martin Tyler ausgesprochen und sorgen bei mir bis heute jedes Mal aufs Neue für Gänsehaut. Denn am 13. Mai 2012 wurde Fußballgeschichte geschrieben. Es war die Geburtsstunde einer Legende, die vor wenigen Tagen unter Tränen die große Bühne verlassen musste.
Manchester City lag an jenem 13. Mai gegen die Queens Park Rangers bei Einbruch der Nachspielzeit mit 1:2 zurück. Stadtrivale United brachte indes einen 1:0-Sieg in Sunderland über die Ziellinie und war bereits mit den Vorbereitungen für die anschließende Meisterfeier beschäftigt. Selbst als Edin Džeko in der 92. Minute per Kopf den Ausgleich erzielte, war es nicht mehr als ein Hoffnungsschimmer, der bei den Citizens aufflackerte. Schließlich brauchten sie einen Sieg, um mit den Red Devils gleichzuziehen und sich mit dem besseren Torverhältnis zur ersten Meisterschaft seit 44 Jahren zu katapultieren. Doch dann schlug die Stunde des Sergio Agüero. Ein Doppelpass mit Mario Balotelli, ein dynamischer Sprint, eine raffinierte Körpertäuschung – und mit voller Wucht rein ins Glück. Mit seinem Tor zum 3:2 sicherte sich der 1,73 Meter kleine Argentinier seinen Platz in den Geschichtsbüchern.
Nach 583 Spielen und 337 Toren für Atlético Madrid und ManCity wollte sich der 33-jährige Agüero einer letzten großen Herausforderung stellen. Doch schon im Oktober – beim Spiel gegen Alavés – bahnte sich an, was nun Gewissheit ist: Eine große Karriere findet ein jähes Ende. Schwere Herzrhythmusstörungen zwingen den Argentinier dazu, seine Fußballschuhe an den Nagel zu hängen. Der Sport verabschiedet sich von einer seiner Legenden, die ihm einen seiner unvergesslichsten Momente beschert hat. Welche Worte könnten ein passenderer Abschiedsgruß sein als jene von Martin Tyler. „Agueroooooooo!!! I swear you’ll never see anything like this ever again.” No, we won’t. Es wird niemals einen zweiten Sergio „Kun“ Agüero geben.
3: Champions League Light
Wenn am 17. Februar der SSC Neapel im Camp Nou auf den FC Barcelona trifft, könnte es sich durchaus um ein Duell in der K.o.-Runde der Champions League handeln. Aber nein, wir sprechen hier von einer Playoff-Begegnung, in der es um den Einzug ins Achtelfinale der Europa League geht. Barça, Napoli, Porto, Atalanta, Dortmund, Leipzig, Sevilla, West Ham, Lazio, Real Sociedad, Monaco, Leverkusen, Lyon – die K.o.-Runde des oftmals verpönten kleinen Bruders der Königsklasse (könnte sich der Begriff „Prinzenklasse“ durchsetzen?) ist in diesem Jahr so hochklassig besetzt wie vielleicht noch nie zuvor.
Noch dazu ist die Europa League nicht nur stark besetzt, sondern auch extrem spannend. Zahlreiche Teams können sich realistische Chancen auf den Titel ausrechnen. Unter anderem müssen sich die drei deutschen Vertreter – Bayer, der BVB und Eintracht Frankfurt – keinesfalls verstecken. In der Regel verfolge ich die Europa League erst ab dem Halb- oder frühestens dem Viertelfinale, aber im Februar wird sich das ändern. Schon einige Duelle der Zwischenrunde sind reizvoll, allen voran Leipzig gegen Real Sociedad und Barça gegen Napoli. Im Achtelfinale könnten uns dann umso spannendere Spiele erwarten. Also: Unterschätzt mir die Prinzenklasse nicht!