MixedZone (15)

1: Die Euphorie im Norden Londons ist seit der Verkündung der frohen Botschaft verständlicherweise groß. Antonio Conte übernimmt den Trainerposten des wenig überraschend in Ungnade gefallenen Nuno Espírito Santo und lässt Spurs-Fans im Handumdrehen wieder von der Champions-League träumen. Und warum denn nicht? Wo auch immer der Italiener in seiner bisherigen Laufbahn die Zelte aufschlug, folgte der Erfolg prompt. Juventus Turin beendete die Saison 2010/11 auf Rang 7 der Serie A – Conte wurde mit der Alten Dame in den folgenden drei Spielzeiten Meister und läutete die erfolgreichste Ära der Clubgeschichte ein. Der FC Chelsea landete 2015/16 in der Premier League auf dem 10. Platz – Conte führte die Blues in seinem ersten Jahr an der Stamford Bridge direkt zur Meisterschaft. Inter Mailand belegte 2018/19 den 4. Rang in Italien und hatte 21 Punkte Rückstand auf Juve – unter Conte betrug diese Differenz 2019/20 nur noch einen Zähler und dieses Jahr holte man den Scudetto.

Gelingt dem 52-jährigen Meistermacher eine solche Leistungsexplosion auch bei Tottenham? Ich bin mir sicher, dass Conte aus diesem Spurs-Kader deutlich mehr herausholen kann als Nuno und José Mourinho. Der Italiener ist bekannt dafür, seinen Mannschaften an beiden Enden des Feldes eine feste Struktur an die Hand zu geben, in deren Rahmen sich aber auch hochveranlagte Einzelspieler frei entfalten können. In den letzten Monaten vermisste man bei Tottenham vor allem einen koordinierten Spielaufbau, aus dem heraus Torchancen kreiert werden könnten – das wird sich unter Conte ändern. Spieler wie Pierre Emile Højbjerg, Giovani Lo Celso und Dele Alli könnten perfekt ins zentrale Mittelfeld des von Conte präferierten 3-5-2-Systems passen. Besonders hohe Erwartungen habe ich persönlich an Tanguy Ndombélé, der mir in seiner Zeit bei Olympique Lyon sehr imponierte, aber bei den Spurs sein enormes Potenzial noch nicht ausschöpfen konnte.

Spannend wird es aber vor allem im Angriff. Eine von Contes Spezialitäten war es in den letzten Jahren, starke Sturm-Duos zu formen. Ein Trainer, der Fernando Llorente und Carlos Tevez (bei Juventus) oder Graziano Pelle und Eder (in der italienischen Nationalmannschaft) zu gefürchteten Gespannen machen konnte, wird sein Glück mit Harry Kane und Heung-min Son kaum fassen können – ohne dabei den vier eben genannten Herren zu nahe treten zu wollen. Bei Inter erlebte Romelu Lukaku unter Conte eine Renaissance und Lautaro Martínez reifte vom Supertalent aus der argentinischen Liga zum Weltklasse-Stürmer. Oftmals ließen sich die beiden abwechselnd fallen, um den Spielaufbau aus dem Mittelfeld heraus anzukurbeln und Räume für nachstoßende Läufe von Nicolò Barella und Co. zu schaffen. Kane und Son sind prädestiniert dafür, unter Conte ebenfalls ein solches Tandem zu bilden.

Dass der Italiener die Spurs kurzfristig besser machen wird, steht in meinen Augen außer Frage. Aber was ist der Best Case für diese Truppe? In der laufenden Saison könnte man zwar gut und gerne noch die Champions-League-Qualifikation ins Auge fassen, aber an Chelsea, Manchester City und Liverpool wird man nicht mehr vorbeikommen. Und 2022/23? Conte war angeblich schon im Sommer Tottenhams Wunschkandidat, die Gespräche scheiterten aber wohl daran, dass man dem Italiener kein ausreichendes Budget für Neuverpflichtungen zusichern konnte (oder wollte). Hat sich die finanzielle Situation inzwischen verändert? Denn mit dem aktuellen Kader wird man auch nächste Saison nicht um die Meisterschaft mitspielen können – ganz zu schweigen von einem möglichen Kane-Abgang. Was ist also das Endziel der Ära Conte? Gibt es überhaupt eines? Für den Moment sind solche Fragen aber vielleicht auch zweitrangig. Tottenham hat einen der besten Trainer der Welt verpflichtet. Spurs-Fans dürfen sich zurecht auf ein neues Gesicht ihres Teams freuen.

2: Tottenham ist nicht der einzige kriselnde Club, der sich von einem neuen Trainer eine Kehrtwende erhofft. Der FC Barcelona hat in dieser Woche die Verpflichtung von Vereinslegende Xavi unter Dach und Fach gebracht. Diesen katalanischen Scherbenhaufen zu übernehmen, wäre aktuell für jeden Trainer der Welt eine Mammutaufgabe, von einer gewissen Skepsis wird also auch der Amtsantritt des 41-jährigen Spaniers behaftet sein. Dennoch ist die Euphorie, die sich (endlich wieder) rund um das altehrwürdige Camp Nou breitmacht, absolut verständlich. Xavi verkörperte einst die Ideale des Clubs wie kaum ein anderer Spieler und feierte mit den Katalanen unzählige Erfolge. Er kennt die fußballerische Philosophie in- und auswendig und ist das personifizierte „Més que un club“ abseits des Rasens. Die Hoffnung, dass Xavi bei Barça eher in die Fußstapfen von Johann Cruyff und Pep Guardiola als in die von Ronald Koeman treten kann, ist durchaus berechtigt.

Kann Xavi à la Thomas Tuchel aus dem FC Barcelona innerhalb weniger Monate wieder ein Spitzenteam formen? Da bin ich mir nicht so sicher. Der Abgang von Lionel Messi und die jahrelange Misswirtschaft haben den Verein in einer prekären Lage zurückgelassen, die auch der Spanier nicht im Handumdrehen auflösen kann. Aber wenn man dem neuen Coach Zeit gibt, die so lange vermisste Barça-Philosophie zurückzubringen, dann könnte er die nächste goldene Ära einläuten. Mit Pedri, Gavi, Ansu Fati, Nico González und Riqui Puig steht die nächste Generation von potenziellen Weltklasse-Spielern in den Startlöchern. Spieler wie Frenkie de Jong, Memphis Depay und Marc-André ter Stegen sind im besten Fußballeralter. Gerard Piqué, Sergio Busquets und Jordi Alba haben ihre besten Jahre zwar hinter sich, können aber noch immer die Führungsspieler eines starken Teams sein. Ronald Koeman (und auch die meisten seiner Vorgänger) hat vergeblich versucht, aus dieser Ansammlung talentierter Spieler eine attraktive und erfolgreiche Mannschaft zu machen. Xavi hat gute Voraussetzungen, um genau das zu schaffen.

3: Was ist bei den Boston Celtics los? Sechs Pleiten aus den ersten zehn Spielen und enttäuschende Leistungen an beiden Enden des Feldes haben dazu geführt, dass Neu-Coach Ime Udoka schon nach dem ersten Monat der NBA-Saison unter Druck steht. Abgesehen von den ausbaufähigen Ergebnissen lassen vor allem die Kommentare von Marcus Smart in dieser Woche vermuten, dass bei den Kelten vieles im Argen liegt. Mit seiner öffentlichen Kritik, Jayson Tatum und Jaylen Brown würden sich zu selten vom Ball trennen, hat der 27-Jährige zwar sicherlich nicht ganz Unrecht – aber sollte ein solcher Seitenhieb tatsächlich von einem der angeblichen Leader des Teams kommen? Zumal Smart in dieser Saison krachende 8.6 Punkte pro Spiel bei 31.2% aus dem Feld auflegt…

Dass Tatum und Brown ausgezeichnete Scorer sind, ihre Mitspieler aber noch besser und häufiger in Szene setzen sollten, ist nur eines der Probleme der Celtics. Zum Zeitpunkt der 114:128-Niederlage gegen die Chicago Bulls, nach der Smart mit seinem Interview Aufsehen erregte, stellte Boston die schlechteste Defense der NBA. Das ist zwar inzwischen nicht mehr der Fall, aber eigentlich sollte man mit dem aktuellen Personal besser verteidigen, als man es bisher getan hat. Und in der Offensive? Da fehlt wie schon letzte Saison ein echter Floor General als Bindeglied und Ballverteiler. (Dennis Schröder ist nicht der richtige Mann, um diese Rolle auszufüllen.) Die Celtics stellen momentan ein Offensivrating von 106.6 (Rang 19), obwohl sie zwei der besten 15 Scorer der Liga in ihren Reihen haben. Und, wie Smarts öffentliche Schelte unterstreicht, scheint das Team auch auf der zwischenmenschlichen Ebene noch nicht zu klicken.

Vielleicht kann man bei den Celtics noch nicht von einer handfesten Krise sprechen, aber dass sich einiges ändern muss, steht außer Frage. Mit Siegen gegen Orlando und Miami hat man sich ein wenig Luft verschafft, doch insgesamt bleibt man weit hinter den Erwartungen zurück. Es wird spannend zu beobachten sein, wie sich die Situation in Boston in den nächsten Wochen entwickelt.

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