Der amerikanische Journalist Mike Breen war 2008 bei den Olympischen Spielen in Peking. Eines Tages reiste er per Taxi zu einem Training des Basketballteams der USA. Breen trug einen Pullover, auf dem das NBA-Logo zu sehen war. Sein Fahrer, ein junger Chinese, sprach ihn in sehr gebrochenem Englisch an und es entwickelte sich folgender Dialog:
„NBA? NBA?“
„Yes, NBA.“
„Kobe Bryant?“
„Yes, Kobe Bryant. He’s playing for Team USA.“
„You know Kobe Bryant??“
„Yes, I know Kobe Bryant.“
Der Fahrer stoppte daraufhin das Taxi – und fing an zu weinen. Er schluchzte am Straßenrand vor sich hin – nur weil er gerade jemanden kennengelernt hatte, der Kobe Bryant kannte.
Die Nachricht von Kobes Tod war für mich ein Schock. Ich konnte und wollte es im ersten Moment nicht glauben. Aber mit jeder Nachricht von Freunden, jedem Anruf und jeder neuen Meldung schwand meine Hoffnung, dass es nur Fake News sein könnten. Ich fing sofort an zu weinen und hörte so schnell auch nicht wieder auf. Zweifelsohne ist der Tod von Kobe, seiner Tochter Gianna und den sieben anderen Passagieren an Bord des abgestürzten Hubschraubers eine Tragödie. Aber dennoch habe ich mir in den letzten Tagen immer wieder die Frage gestellt: Warum trifft mich dieses Unglück so hart?
Ich kannte Kobe logischerweise nicht persönlich – kaum jemand hatte dieses Privileg. Ich habe vor etwa fünf Jahren angefangen, mich für Basketball zu interessieren – zu einem Zeitpunkt, als Kobe und seine Lakers aus rein sportlicher Sicht schon lange keine große Relevanz mehr hatten. Kobe war für mich persönlich nie so ein Idol, wie er das für Millionen von anderen Fans war. Jeden Tag sterben auf der ganzen Welt Menschen unter tragischen Umständen. Wahrscheinlich gibt es sogar jeden Tag einen Hubschrauberabsturz mit Todesopfern. Warum war es also gerade dieses Unglück, das mir tagelang immer wieder Tränen in die Augen getrieben hat?
Because it’s Kobe, man! Kobe Bryant ist für Basketball- und Sport-Nerds wie mich nicht einfach nur ein Mensch. Ich habe keine Ahnung, welches Wort sein Standing beschreiben könnte. Idol, Ikone, Gott, Superheld, Inspiration – eine Mischung aus all diesen trifft es wahrscheinlich am besten. Kobe war larger than life. Kobe war einfach Kobe!
Kobe war ein Vorzeigeathlet. Ein Arbeitstier. Er hat mit seiner Mamba Mentality unzählige Menschen geprägt und inspiriert. Und das ausgerechnet bei den L.A. Lakers. Ausgerechnet in Hollywood. Bei der Franchise in Lila und Gold, die wie keine andere für Glamour und Showtime steht. Aber selbst dort schaffte es Bryant, die Menschen zu verbinden. Er war 20 Jahre lang die absolute Identifikationsfigur – sowohl für die High Society als auch für die Arbeiter auf den billigsten Plätzen unter dem Dach des Staples Centers.
Verbinden ist vielleicht das perfekte Stichwort. Kobe hat Menschen verbunden. Und zwar nicht, weil er von allen geliebt wurde. Er wurde von fast genauso vielen gehasst. Er war der perfekte Antagonist. Ein Killer auf dem Parkett, der über die Jahre viele Rivalen hatte. Doch eines hat die Fans und die Hater immer verbunden: der grenzenlose Respekt für seine Leistungen und seine Einstellung. Mamba Mentality ist gleichbedeutend mit harter Arbeit, mit bedingungsloser Hingabe und Leidenschaft. Nichts konnte Kobe von seinem Weg abbringen. Keine Niederlage, keine Verletzung – und auch kein Triumph. Selbst im hohen Alter und mit fünf Championship-Ringen in der Vitrine war die Mamba nie zufrieden. Er spielte, trainierte, arbeitete nie für Erfolge oder Anerkennung – das war nur ein Nebeneffekt. Seine Liebe zum Basketball war es, die ihn antrieb. Und sein unbändiger Wille, der Beste zu sein.
Warum mich der Tod von Kobe Bryant so tief getroffen hat? Because it’s Kobe, man! Einer der größten Sportler aller Zeiten. Unantastbar, unsterblich, larger than life. Immer wieder wird man daran erinnert, wie schnell das alles hier vorbei sein kann. Todesfälle oder Tragödien, die man erlebt oder mitbekommt. Aber die Erkenntnis, dass es selbst so jemanden wie Kobe treffen kann, war für mich doch nochmal etwas anderes. So ganz habe ich es immer noch nicht realisiert.
Was bleibt, ist Kobes Vermächtnis. Die Erinnerungen an seine unzähligen legendären Momente. Seine beiden Trikots an der Decke des Staples Centers. 8 – 24. Sein Kurzfilm „Dear Basketball“, für den er einen Oscar gewann. Die Kinderbücher, die er geschrieben hat. Seine Sportakademie und seine Stiftung. Die Mamba Mentality. Die „Kobeee“-Rufe, wenn zerknüllte Papierkugeln in hohem Bogen in Richtung Mülleimer fliegen.
Und dieses Vermächtnis wird unzählige Menschen verbinden, genauso wie es Kobe zu Lebzeiten getan hat. Basketball-Fans auf der ganzen Welt werden die Black Mamba in Erinnerung behalten. Auch ich. Auch viele meiner Freunde. Und ganz bestimmt auch der Taxifahrer in Peking, der 2008 vor Mike Breen in Tränen ausbrach.
„The most important thing is to try and inspire people so that they can be great in whatever they want to do.“
R.I.P. Kobe
R.I.P. Gianna
Mamba out