16. Oktober 2004. Der FC Barcelona ist im Stadtderby zu Gast bei Espanyol. Der Tabellenführer gewinnt auswärts mit 1:0. Die Partie wird aber aus einem anderen Grund in Erinnerung bleiben. Denn in der 82. Minute werden die 34.400 Zuschauer im Estadi Olímpic Lluís Companys Zeugen einer Premiere. Barça-Coach Frank Rijkaard holt den Siegtorschützen Deco vom Feld – und wechselt einen 1,70 Meter kleinen Argentinier mit wehenden braunen Haaren ein. Es ist der erste Profieinsatz für den damals 17-jährigen Lionel Messi.
Ungefähr zur gleichen Zeit hatte ein anderer vielversprechender Jungspieler schon etwas mehr auf seiner Visitenkarte stehen. Ein Jahr zuvor hatte sich Manchester United für 19 Millionen Euro die Dienste eines pfeilschnellen Flügelflitzers von Sporting Lissabon gesichert: Cristiano Ronaldo. Wenige Monate bevor der Wunderknabe aus Barcelona sein Debüt gab, hatte der junge Portugiese bereits seinen ersten bedeutenden Titel gewonnen. Sein Team triumphierte im FA-Cup Finale mit 3:0 gegen den FC Millwall – Ronaldo erzielte den Führungstreffer. Außerdem hatte er sich mit starken Leistungen im portugiesischen Nationaltrikot bei der Europameisterschaft in die Herzen der Fans und auf die Notizblöcke der Experten gespielt. Noch war aber auch er nur ein Rohdiamant – genau wie Messi. Dass diese beiden Jungspunde in den kommenden 15 Jahren die große Bühne des Weltfußballs dominieren sollten, ahnte zu diesem Zeitpunkt wohl kaum einer.
9. August 2005. Manchester United empfängt den ungarischen Meister Debreceni VSC. Die Red Devils gewinnen die Partie komfortabel mit 3:0. In der 63. Minute verwertet Cristiano Ronaldo eine Vorlage von Wayne Rooney mustergültig und schiebt zum Endstand ein. Es ist sein erstes Tor in der Königsklasse. Das erste von inzwischen 128. CR7 ist der Rekordtorschütze des Wettbewerbs – gefolgt von Lionel Messi mit 114 Treffern. Messi hat in seinem Trophäenschrank vier Henkelpotts stehen – Ronaldo sogar fünf. In gefühlt jedem Finale der letzten Jahre hatte einer von beiden seine Finger (oder eher Füße) im Spiel. Selbst der Crème de la Crème des europäischen Vereinsfußballs waren die beiden Ausnahmekönner stets meilenweit voraus.
18. April 2007. Barça führt im heimischen Camp Nou in der 24. Minute mit 1:0 gegen den FC Getafe. Lionel Messi bekommt auf dem rechten Flügel den Ball – in der eigenen Hälfte. 11,5 Sekunden später steht es 2:0. Weitere zehn Sekunden später hat der Kommentator ungefähr 47-mal „GOL“ gebrüllt. Ein Solo über 50 Meter. Ein unfassbares Tor. Spätestens jetzt stehen Vergleiche mit dem großen Diego Maradona für Messi an der Tagesordnung. Auch für Ronaldo ist das Jahr 2007 der endgültige Durchbruch. Er spielt in Manchester eine großartige Saison. Im Dezember stehen beide erstmals auf der Bühne der Ballon-d’Or-Gala: Messi mit schlichtem blauem Anzug und Krawatte, Ronaldo in Smoking und Fliege à la James Bond. Noch flankieren sie den Gewinner des begehrten goldenen Balles – den Brasilianer Kaká. In den folgenden zehn Jahren wird immer einer der beiden den Ballon d’Or in Händen halten. Ronaldo macht 2008 den Anfang, Messi zieht 2009 nach. Der Portugiese hat inzwischen fünfmal diese Auszeichnung erhalten. Der Argentinier schnappte sich 2019 zum sechsten Mal den Award und hat damit in dieser Hinsicht knapp die Nase vorn.
6. Juli 2009. Zu den Klängen von „Nessun Dorma“ marschiert ein ganz in weiß gekleideter Cristiano Ronaldo in das Estadio Santiago Bernabéu ein. 80.000 Zuschauer sind gekommen. Nicht etwa für ein Spiel – sondern für eine Spielervorstellung. 94 Millionen Euro hat sich Real Madrid den Superstar kosten lassen – Rekord! Das heißt: Endlich spielen die beiden besten Fußballer des Planeten in derselben Liga. Es beginnt eine Ära mit legendären Clásicos und Toren am Fließband. Messi und Ronaldo sind die jeweiligen Rekordtorschützen von Barça und Real. Ronaldo hat in 292 Ligaspielen für die Königlichen 311 Tore erzielt. Messi traf in dieser Zeitspanne (2009/10 bis 2017/18) in La Liga 392-mal in 309 Partien. Der „Zauberfloh“ ist mit bis dato 438 Toren in der höchsten spanischen Spielklasse der unangefochtene Rekordhalter – und mit 183 Vorlagen übrigens auch der Assist-König. CR7 wird in seinen neun Jahren beim weißen Ballett „nur“ zweimal Meister. Messi und die Katalanen setzen sich in dieser Zeit sechsmal die Krone auf. Und auch in den direkten Duellen wusste der Argentinier zumeist eher zu überzeugen. 34 Partien haben die beiden im direkten Duell bestritten – Messi sammelte dabei 33 Scorerpunkte, Ronaldo 19.
22. Dezember 2012. Messi trifft in der 59. Minute zum 2:0 beim Gastspiel seiner Katalanen in Valladolid. Es ist sein 91. Treffer im Kalenderjahr 2012. Einundneunzig! Ein unfassbarer Wert, den es zuvor – wie auch seitdem – nicht gegeben hat. Mehr als ein Jahrzehnt lang lieferten sich Messi und Ronaldo atemberaubende Schützenduelle. Seit 2007 hat zehnmal einer von beiden den Goldenen Schuh erhalten – die Auszeichnung für Europas besten Torjäger einer Saison. Die Statistiken muss man sich schon mehrfach durchlesen, um sie wirklich zu glauben. Ronaldo: 626 Tore und 219 Assists in 836 Spielen auf Vereinsebene. Messi: 627 Tore und 265 Vorlagen in 718 Partien. Beide sind sie Rekordtorschütze ihres Landes im Nationaldress – Ronaldo mit 99 Treffern für Portugal, Messi mit 70 für Argentinien.
10. Juli 2016. Cristiano Ronaldos wird in der 25. Minute des EM-Endspiels seiner Portugiesen gegen Frankreich unter Tränen vom Feld getragen. Diesen Tag wird er aber wahrscheinlich dennoch für immer in guter Erinnerung behalten. Und das nicht nur, weil er sich nach seiner Auswechslung mit seinem Einsatz an der Seitenlinie – dick bandagiertes Knie inklusive – mindestens die Trainer-B-Lizenz verdient hat. Sondern vor allem, weil er am Ende den EM-Pokal in den Nachthimmel von Paris recken durfte. Dieser Triumph bei der Europameisterschaft – und auch der Nations-League-Titel drei Jahre später – geben ihm einen Status, den Dauerrivale Messi nie erreichen konnte: Anführer einer erfolgreichen Nationalmannschaft. Außer dem Olympiasieg 2008 (als einer von Zusatzspielern in einer U21-Auswahl) hat Messi mit der Albiceleste nämlich kein Edelmetall vorzuweisen. In den hellblau-weißen Streifen konnte er nur selten an seine überirdische Barcelona-Form anknüpfen. Ein Makel in einer sonst wohl makellosen Karriere.
Wer ist denn nun der Bessere? Der vielleicht Beste aller Zeiten? Wer gewinnt das ewige Duell zweier absoluter Ausnahmespieler? Spielt es denn überhaupt eine Rolle? Fakt ist: In den letzten knapp 15 Jahren haben wir miterleben dürfen, wie zwei der besten Fußballer in der langen Geschichte des Sports Woche für Woche Unfassbares vollbracht haben. Und das sollten wir meiner Meinung nach einfach genießen, solange wir noch können. Nie zuvor hat es so eine Zwei-Mann-Weltklasse gegeben wie in der Messi-Ronaldo-Ära. Und wahrscheinlich wird es sie auch nie wieder geben.
Wenn man mich fragen würde, wen ich für den besseren Spieler halte, würde ich wahrscheinlich Ronaldo sagen. In meinen Augen ist er der komplettere Spieler. Groß, stark, schnell, beidfüßig, kopfballstark. Ein Arbeitstier, der es durch unzählige Stunden auf dem Trainingsplatz an die Weltspitze geschafft hat. Außerdem hat er in drei europäischen Top-Ligen dominiert und war mit der Nationalmannschaft erfolgreich.
Aber wenn man mich fragen würde, um welchen der beiden ich am liebsten ein Team aufbauen würde? Definitiv Messi. Luís Figo, Real- und Barça-Legende und Landsmann von Ronaldo, hat mal gesagt: „Messi spielen zu sehen ist ein Vergnügen – es ist wie ein Orgasmus. Ein unglaubliches Vergnügen.“ Word! Was Messi mit dem Ball am Fuß anstellt, ist einfach unfassbar. Da gibt es keine zwei Meinungen. Trotz seiner körperlichen Nachteile kann er Spiele lesen und dominieren wie vielleicht kein Spieler vor ihm – und vielleicht auch keiner nach ihm.
Warum sollte ich mich denn überhaupt entscheiden müssen? Warum sollte sich irgendjemand entscheiden müssen? Kann man nicht einfach genüsslich dabei zusehen, wie diese beiden Legenden ihre Karrieren (auf noch immer absurd hohem Niveau) ausklingen lassen. Junge Talente und angehende Superstars gibt es definitiv genug – die Fußballwelt wird in guten Händen sein. Aber es wird nie wieder einen Lionel Messi geben. Und auch nie wieder einen Cristiano Ronaldo. Also: Stop the debate!