Die Angst vor dem Absturz

Als ich sechs Jahre alt war, sah ich eine Fernsehwerbung mit Gerald Asamoah. Der Spot war für die Teufelskicker. Ich war damals zwar eher ein Anhänger der Wilden Kerle, aber die Teufelskicker kannte ich natürlich trotzdem. Auf den Satz des Erzählers „Gerald Asamoah ist auch ein echter Teufelskicker“ folgt ein lässiges „Na klar“ des damaligen Nationalspielers. Ein Bundesliga-Star, der die Teufelskicker hört? Der sechsjährige Lorenzo war begeistert. Irgendwie hatte es mir dieser breit grinsende Fußballer angetan. Von diesem Moment an war ich Gerald-Asamoah-Fan. Und damit logischerweise Schalke-Fan. Der FC Schalke 04, der auf diesem ungewöhnlichen Weg in mein Leben kam, nimmt schon lange einen besonderen Platz in meinem Herzen ein. Inzwischen würde ich mich nicht mehr als glühenden Fan bezeichnen – eher als leidenden Sympathisanten. Denn in den letzten Monaten hat man als Schalke-Fan (oder eben Sympathisant) nicht viel Freude.

Seit Beginn der Rückrunde 2019/2020 ist Schalke ein großer, königsblauer Trümmerhaufen. Die letzten 16 Spiele der vergangenen Saison gewann S04 nicht. Die logische Konsequenz wäre die Entlassung von Trainer David Wagner gewesen, doch sie kam nicht. Zumindest nicht im Anschluss an die desolate Rückserie. Nicht zu einem Zeitpunkt, zu dem ein neuer Trainer die Vorbereitung auf die kommende Saison mit seiner Mannschaft hätte absolvieren können. Kein frischer Wind, keine neuen Impulse. Die Schalker Vereinsführung ließ Wagner gewähren – nur um ihn dann nach zwei Spieltagen der Saison 2020/2021 zu feuern. Die beiden peinlichen Niederlagen gegen Bayern und Bremen besiegelten Wagners Schicksal. Da drängt sich die Frage auf: Warum erst jetzt? Was hat man denn in Gelsenkirchen erwartet? Dass ein Team, das monatelang komplett von der Rolle ist und jegliche Mentalität vermissen lässt, auf einmal wieder in die Spur findet? Dass ein Trainer, der mit jeder Niederlage ratloser und niedergeschlagener wurde, das Ruder wieder herumreißen kann? Er konnte es nicht. Im Nachhinein ist man immer schlauer, aber dieser Ausgang schien unausweichlich.

Rund um die Veltins-Arena fragt man sich also (mal wieder), wie es jetzt weitergehen soll. Manuel Baum und Naldo sollen die Antwort geben. Der stille Fachmann und der liebenswürdige Brasilianer. Einer für die Taktik und einer für die zwischenmenschlichen Beziehungen. Es ist keine glamouröse Lösung – aber vielleicht ja die richtige. Manuel Baum hat bei seiner bislang einzigen Trainerstation in der Bundesliga, beim FC Augsburg, einen guten Job gemacht. Danach bewies er als Coach der deutschen U20-Nationalmannschaft ein Händchen für die Entwicklung junger Spieler. Aber Schalke 04 ist ein anderes Kaliber. Die Liste der Trainer, die an dem königsblauen Gebilde gescheitert sind, ist lang. Man wird es den Schalker Fans also verzeihen müssen, wenn sich aktuell die Zuversicht in Grenzen hält.

Aber gerade Zuversicht ist etwas, das möglichst schnell wieder auf der Schalker Tagesordnung stehen sollte. Der Verein ist gefangen zwischen dem wachsenden Schuldenberg, einer zerrütteten Führungsetage und unrealistischen Träumen vom europäischen Geschäft. Wer wissen will, wie schnell so ein Spannungsfeld drastische Folgen haben kann, muss nur mal in Stuttgart oder Hamburg nachfragen. Ist Schalke der nächste Traditionsclub, der trotz viel Qualität im Kader den Gang in die zweite Liga antreten muss? Das Fiasko rund um David Wagner war ein weiterer Schritt in diese Richtung. S04 muss aufpassen.

Die Qualität im Kader sollte eigentlich für die obere Tabellenhälfte reichen. Die Königsblauen werden sich aber wohl eher im Abstiegskampf wiederfinden. Auf Schalke hofft man, dass Manuel Baum der Mannschaft den Weg weisen kann. Das Potenzial dafür hat er in meinen Augen. Von einigen seiner Vorgänger hat man erwartet, dass sie den Club dauerhaft in die Spitzengruppe der Bundesliga führen. Für Baum hängt die Latte wesentlich niedriger – er soll S04 vor dem tragischen Absturz bewahren. Ich bin kein glühender Fan mehr, der bei jedem Spiel mitfiebert. Heutzutage würde ich mich nicht mehr so leicht von einem Teufelskicker-Werbespot beeindrucken lassen. Trotzdem hoffe ich sehr, dass mein Verein die Wende schafft. Wenn nicht für mich, dann für den sechsjährigen Lorenzo.

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