
Als selbsternannter Fußballexperte freut man sich immer, wenn eine der eigenen Vorhersagen zur Realität wird. Schließlich hat man, mal ganz abgesehen von den Ansprüchen an die eigene Expertise, in gewisser Weise einen Ruf zu verlieren. Umso erfreuter bin ich, dass die Mannschaft, der ich im Zuge meiner Prognosen vor der Saison den Champions-League-Titel zugeschrieben habe, nicht nur noch immer im Wettbewerb vertreten ist, sondern wahrscheinlich sogar als Top-Favorit bezeichnet werden kann. Und so kommt meine Prophezeiung, wer am 28. Mai den Henkelpott in den Nachthimmel von Paris recken wird, wenig überraschend: Ich glaube noch immer, dass der FC Liverpool die Champions League gewinnen wird.
Die US-amerikanische Website FiveThirtyEight, das Mekka des Datenjournalismus, führt eine Metrik, mit der versucht wird, die aktuelle Stärke von Fußballclubs auf einer Skala von 1 bis 100 abzubilden – der sogenannte Soccer Power Index (SPI). (Wer nachlesen will, wie der SPI ermittelt wird, kann sich hier einlesen.) In dem auf dieser Statistik basierten Ranking haben die Reds kürzlich ihren Rivalen aus Manchester erstmals seit zwei Jahren wieder überholt. Mit einem SPI von 93.5 führt die Mannschaft von Jürgen Klopp diese Rangliste aktuell an – haarscharf vor den Citizens (93.2) und dem FC Bayern München (93.0).
Natürlich sind solche statistischen Spielereien nicht der Weisheit letzter Schluss, aber sie unterstreichen die Eindrücke der letzten Wochen. Der LFC hat nur eins seiner letzten 25 (!) Spiele verloren – und selbst dabei handelte es sich um ein 0:1 gegen Inter Mailand im Achtelfinal-Rückspiel der Königsklasse, bei dem das Weiterkommen nie wirklich in Gefahr schien. Gerade als sich nach sieben Gegentoren in drei Spielen gegen ManCity und Benfica Lissabon leichte Ansätze von Sorgenfalten auf die Stirnen der Liverpool-Fans zu schleichen begannen, fertigte man Manchester United mit 4:0 ab. Die Reds sind pünktlich zum Saison-Endspurt in absoluter Top-Form, eine Pressing- und Gegenpressing-Maschine mit der individuellen Klasse, jeden Gegner zu entzaubern.
Liverpool spielt schnell, dynamisch, schnörkellos, vertikal. Mohamed Salah und Sadio Mané sind seit Monaten in bestechender Form. Sowohl die beiden Superstars als auch Diogo Jota, Luis Díaz und Roberto Firmino rangieren in Sachen Progressive Passes Received (alle) und Ballkontakte im gegnerischen Sechzehner (alle außer Firmino) im europäischen Vergleich in den allerhöchsten Sphären – eines von vielen statistischen Indizien für die geradlinige Mentalität der Reds. Es ist kein Geheimnis, dass die Ausnahmekönner an vorderster Front so oft und so schnell wie möglich bedient werden sollen, und dennoch ist es unglaublich schwer zu verteidigen. Doch nicht nur in der Offensive sind die Reds außergewöhnlich stark besetzt: Trent Alexander-Arnold und Andrew Robertson sind die beste Außenverteidiger-Zange der Welt, Virgil van Dijk vermutlich noch immer der beste Innenverteidiger und Alisson Becker einer der besten Keeper des Planeten. Thiago scheint auf dem besten Weg, seine Genialität vergangener Tage wieder konstant auf den Platz bringen zu können.
Das vielleicht schlagkräftigste Argument für den FC Liverpool als Champions-League-Sieger: der Halbfinal-Gegner. Man kann vor dem FC Villareal und seinen Leistungen in dieser Saison nur alle Hüte ziehen. Einem Team, das eine Gruppe mit Manchester United und Atalanta Bergamo übersteht, im Achtelfinale Juventus Turin eliminiert und dann in der Runde der letzten Acht die Bayern aus dem Wettbewerb kegelt, gebührt die größtmögliche Hochachtung. Doch bei aller Liebe für den Club aus dem 50.000-Einwohner-Städtchen – ein so dankbares Los ist für einen Champions-League-Halbfinalisten normalerweise utopisch. Zwischen den beiden Duellanten wird ein Klassenunterschied herrschen, den Villareal meiner Meinung nach nicht überwinden kann.
So beeindruckend der bisherige Lauf des gelben U-Boots auch war, Juventus Turin ist aktuell nicht gerade der Maßstab für europäische Extraklasse. Und auch der FC Bayern ist in meinen Augen klar unter Liverpool anzusiedeln, doch dazu vielleicht ein andermal mehr. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sich die Reds gegen den krassen Underdog jegliche Form von Blöße geben werden. Dafür sind ihre Leistungen in den letzten Wochen zu stabil, dafür sind sie schlicht zu gut. Zumal mit Gerard Moreno der mutmaßlich beste und wichtigste Spieler der Spanier ausfallen wird, zumindest für das Hinspiel. Sollte Villareal dieses erste Duell an der Anfield Road einigermaßen schadlos überstehen, wäre das in meinen Augen schon ein beachtlicher Erfolg. Fazit: Alles andere als ein Finaleinzug des FC Liverpool wäre eine Sensation.
Bleibt die Frage: Auf wen werden die Reds im Pariser Prinzenpark treffen? Auf welche Paarung ich als Liebhaber hochklassigen Fußballs hoffe, darüber muss ich nicht zweimal nachdenken. Es hätte wohl kaum ein neutraler Beobachter etwas gegen ein Duell der beiden englischen Titanen einzuwenden. Die beiden Begegnungen zuletzt in der Premier League und im FA-Cup-Halbfinale haben erneut gezeigt, dass es sich bei den Reds und Citizens aktuell um die beiden besten Mannschaften der Welt handelt. Diese These steht in meinen Augen nicht einmal wirklich zur Debatte, die Dominanz von Klopps und Pep Guardiolas Schützlingen in den vergangenen Jahren spricht für sich. Dennoch zweifle ich schweren Herzens daran, dass wir dieses Traum-Finale sehen werden. Das hat hauptsächlich mit dem kommenden Kontrahenten der Skyblues zu tun.
Die spanische Meisterschaft unter Dach und Fach zu bringen, dürfte für Real Madrid in den kommenden Wochen keine große Herausforderung sein. Die 0:4-Klatsche im Clásico hätte ein negativer Wendepunkt sein können, stattdessen sind die Königlichen seitdem unausweichlich wie eh und je. Ich hatte vor einiger Zeit in einer MixedZone und zuletzt nach dem Achtelfinal-Coup gegen Paris Saint-Germain schon davon geschwärmt, wie gnadenlos routiniert und kaltschnäuzig dieses Team ist.
Erinnert ihr euch noch an den bei Mathe-Lehrern beliebten Spruch „Wenn ich dich nachts um 3 Uhr wecke, muss das sitzen!“? Ungefähr so stelle ich mir die Lage bei Real vor. Toni Kroos, Luka Modrić, Casemiro, Marcelo, Dani Carvajal und Co. könnte man nachts um 3 Uhr wecken und sie wüssten genau, wie man die Königsklasse gewinnt. Gleiches gilt für Neu-Abwehrchef David Alaba, der mit den Bayern zweimal das Triple gewann. Und dann wäre da natürlich noch Karim Benzema, seines Zeichens Tor- und Siegmaschine und meiner Meinung nach aktuell der beste Fußballer der Welt. Gerade steht der Franzose bei 39 Toren und 12 Assists in 40 Pflichtspielen im Trikot der Königlichen, allein in der Champions League hat er in neun Spielen zwölfmal eingenetzt. Wenn er dieses irre Level bis zum Saisonende aufrechterhalten kann, führt in der Ballon-d’Or-Diskussion kein Weg am 33-Jährigen vorbei.
Bei aller Bewunderung für das weiße Ballett muss selbst ich zugeben: Manchester City hat die bessere Mannschaft – und vor allem den besseren Trainer. Es würde niemanden schockieren, wenn Pep und sein Team über weite Strecken der 180 Minuten überlegen sind und am Ende komfortabel das Final-Ticket buchen. Aber aus irgendeinem, selbst mir etwas schleierhaften Grund glaube ich nicht daran. Wenn mir heute jemand auf der Straße 50 Euro in die Hand drücken würde, mit der Bedingung, das Geld auf einen Final-Paarung setzen zu müssen – ich würde mich für Liverpool gegen Real entscheiden. In einem so bedeutsamen Duell, wenn der Erfolg oder Misserfolg einer kompletten Saison auf dem Spiel steht, vertraue ich den Madrilenen einen Tick mehr als den Citizens.
So, genug analysiert und prognostiziert. Am Ende des Tages bin ich doch einfach nur ein Fußballfan, der sich außerordentlich auf das Halbfinale der Königsklasse freut. Ich bekomme jetzt schon wieder Gänsehaut, wenn ich an die ersten Töne der Hymne am Dienstagabend denke. Natürlich hoffe ich insgeheim, dass sich Liverpool und City durchsetzen und es zum ultimativen Showdown um den Henkelpott kommt. Aber vor allem wünsche ich mir vier ansehnliche und spannende Begegnungen. Lasset die Spiele beginnen!