Obwohl das Omikron-Beben aktuell die Liga erschüttert, hat der NBA Christmas Day auch in diesem Jahr nicht enttäuscht. Jeweils ein Gedanke zu jedem der fünf Spiele:
1: Ist Cardiac Kemba zurück?
Auch wenn Julius Randle beim 101:87-Sieg seiner New York Knicks über die Atlanta Hawks mit 25 Punkten und 12 Rebounds der Matchwinner war, gehörten die Schlagzeilen einem anderen. Denn Kemba Walker sicherte sich mit 10 Punkten, 10 Rebounds und 12 Assists – dem erst zehnten Triple-Double am Christmas Day – seinen Platz in den Geschichtsbüchern. Zunächst muss ich klarstellen: Kembas Leistung gegen die Hawks war an sich nicht gerade überwältigend. Erstens ist der Stellenwert eines Triple-Doubles in meinen Augen prinzipiell überschätzt, zweitens war Walker mit einer Feldwurfquote von 25% (3/12) in 40 Minuten eher ineffizient unterwegs. Warum war der Abend des 31-Jährigen im Madison Square Garden also dennoch so besonders?
In 18 der ersten 20 Saisonspiele war Kemba der Starting Point Guard der Knickerbockers (für die anderen beiden fiel er aus). Doch nach dem enttäuschenden Start seines Teams entschied sich Headcoach Tom Thibodeau zu einem drastischen Schritt: Walker wurde komplett aus der Rotation geworfen. Die Maßnahme war zum damaligen Zeitpunkt durchaus gerechtfertigt. Der 31-Jährige war – wie schon über weite Strecken seiner zwei Jahre in Boston – ein Schatten seiner selbst, der nur noch selten an seine glorreichen Zeiten als Franchise-Spieler der Hornets anknüpfen konnte.
Doch durch die Ausfälle von Derrick Rose und Immanuel Quickley wurde Walker reaktiviert – und erinnert seitdem an Prime-Kemba. 29 Punkte in Boston, 21 gegen Detroit, ein brillantes Spiel (44 Zähler, 9 Rebounds und 8 Assists) gegen die Wizards und nun das weihnachtliche Triple-Double gegen die Hawks. Walker ist auf einmal genau der Spieler, auf den man sich nach seiner Verpflichtung in New York so sehr gefreut hatte – ein brandgefährlicher Point Guard, der einen Teil der Scoring-Last von Randles Schultern nimmt.
Können wir uns also auf eine Reihe weiterer Cardiac-Kemba-Throwback-Spiele freuen? Ich glaube eher nicht. Quickley ist inzwischen aus den Health and Safety Protocols entlassen worden und wird seinen Platz in der Rotation wieder einnehmen. Rose wird zwar noch ein paar Wochen ausfallen, kehrt aber auch früher oder später zurück. Schon in den letzten beiden Jahren hatte Walker immer wieder gute Phasen, nur um dann von dem nächsten Formtief oder einer erneuten Verletzung zurückgeworfen zu werden. Vielleicht hat er sich mit den starken Leistungen wieder eine konstante Rolle verdient – zu gönnen wäre es ihm auf jeden Fall. Aber leider kann es genauso gut sein, dass er schon bald wieder keine Minuten mehr bekommt.
2: Macht euch keine Sorgen um die Bucks
Bis tief ins vierte Viertel hinein lagen die Milwaukee Bucks in Boston zurück. Beim Comeback von Giannis Antetokounmpo, Bobby Portis und Donte DiVincenzo wirkte der Titelverteidiger etwas rostig. Es sah ganz danach aus, als müsste man sich gegen die Celtics geschlagen gebe. Doch dann folgte eine beeindruckende Crunchtime des Teams von Mike Budenholzer. Giannis war trotz eben erst beendeter Quarantäne gewohnt unaufhaltsam und beendete die Partie mit 36 Punkten, 12 Rebounds und 5 Assists. Die Defense war plötzlich wieder auf einem elitären Level. Apropos, kamen der Steal von Jrue Holiday gegen Jayson Tatum und Giannis‘ Monster-Block gegen Robert Williams noch jemandem irgendwie bekannt vor? Was Milwaukee in der Schlussphase dieser Begegnung veranstaltete, erinnerte stark an die Finals-Serie gegen die Phoenix Suns.
Mit dem Sieg am Christmas Day verbesserten die Bucks ihre Bilanz auf 22-13. Damit liegt man in der Eastern Conference auf dem dritten Rang – hinter Brooklyn und Chicago und nur knapp vor Miami und Cleveland. Der Saisonstart war definitiv holpriger, als man sich das in den Reihen des amtierenden Champions erhofft hatte. Aber die überragende Crunchtime im TD Garden hat einmal mehr gezeigt, dass sich Bucks-Fans keine allzu großen Sorgen um ihr Team machen müssen. Denn: Wenn man nicht gerade mit Verletzungs- oder Corona-Pech zu kämpfen hat, ist man noch immer eines der besten Teams der Liga. Wenn Giannis, Holiday und Khris Middleton gemeinsam auf dem Parkett stehen, sind die Bucks mit einem Net-Rating von +15.2 (laut Cleaning the Glass) kaum zu schlagen. Dazu kam es aber leider bislang zu selten (543 Possessions) – das ist das größte Problem der Bucks. Solange Budenholzer auf seine drei Stars zurückgreifen kann, ist Milwaukee für mich der heißeste Anwärter auf die Meisterschaft.
3: Ein beeindruckender Sieg für die Dubs
Von den fünf Ergebnissen des Christmas Days war der Sieg der Warriors in Phoenix in meinen Augen am aussagekräftigsten. Im dritten Aufeinandertreffen der beiden bislang besten Teams der Liga sicherten sich die Dubs einen beeindruckenden Erfolg, obwohl sie nicht nur auf die Langzeitverletzten Klay Thompson und James Wiseman, sondern auch auf ihre zweit- und drittbesten Scorer (Andrew Wiggins und Jordan Poole) sowie Routinier Andre Iguodala verzichten mussten. Schon Anfang des Monats schrieb ich, dass die Duelle der beiden Schwergewichte durchaus ein Vorgeschmack auf die Western Conference Finals sein könnten – und genau so fühlte es sich auch diesmal wieder an.
Vor allem hat mich die Art und Weise, mit der Golden State den 27. Saisonsieg einfuhr, beeindruckt. Zwischenzeitlich standen Chris Chiozza, Quinndary Weatherspoon, Jonathan Kuminga, Juan Toscano-Anderson und Nemanja Bjelica zeitgleich auf dem Parkett. Ich musste zweimal hinschauen, um das wirklich glauben zu können. Dieses Spiel hat gezeigt, was die Warriors in dieser Saison so stark macht. Natürlich steht und fällt das ganze Gebilde mit den Heldentaten von Steph Curry und Draymond Green. Steph machte zwar 33 Punkte, tat sich gegen die Suns-Defense aber einmal mehr schwer (10 von 27 aus dem Feld). Draymond lieferte eine Vintage-Draymond-Performance ab und beendete das Spiel mit 8 Punkten, 8 Rebounds, 10 Assists und jeweils 3 Steals und Blocks. Aber wer war es, der die Dubs in der spannenden Crunchtime zum Sieg trug? Richtig, Otto Porter Jr. Mit 19 Zählern und gefühlt 17 getroffenen Jumpern in den letzten fünf Minuten avancierte der 28-Jährige zum Matchwinner.
Genau diese Rollenspieler haben einen großen Anteil daran, dass Golden State aktuell den besten Record der NBA vorzuweisen hat. Porter ist nach enttäuschenden Jahren in Washington, Chicago und Orlando offensichtlich in den Jungbrunnen gefallen und ist in seiner derzeitigen Form als Minimum-Spieler ein absolutes Schnäppchen. Auch Bjelica und Gary Payton II entpuppten sich als Glücksgriffe, für die Steve Kerr und sein Coaching Staff maßgeschneiderte Rollen gefunden haben. Die Warriors sind eine gut geölte Maschine – angeführt von zwei genialen Stars, aber mit zahlreichen weiteren Zahnrädern, die alle perfekt aufeinander abgestimmt sind. Man stelle sich nur vor, diese Maschine fügt noch (einen halbwegs fitten) Klay Thompson als finales Puzzleteil hinzu…
4: NIC CLAXTON!
Beim 122:115-Sieg der Brooklyn Nets gegen die Los Angeles Lakers in deren frisch getaufter Crypto.com-Arena waren es vor allem zwei Guards, bei denen sich die Gäste am Ende bedanken durften. James Harden legte mit 36 Punkten, 10 Rebounds und 10 Assists eine monströse Throwback-Statline auf und Patty Mills steuerte 34 Zähler bei und traf acht seiner 13 Dreier. (Fun Fact: Mills ist aktuell der Spieler mit den drittmeisten verwandelten Dreiern der laufenden Saison – mit 109 liegt er nur hinter Steph Curry (167) und Buddy Hield (124). Auch in Sachen Dreierquote gehört er mit 44.1 Prozent zu den tödlichsten Scharfschützen der NBA.)
Ich möchte aber an dieser Stelle über einen anderen Spieler sprechen: Nicolas Devir Claxton. Der junge Big Man war beim Erfolg über die Lakers mit 9 Punkten, 6 Rebounds, 3 Assists und 5 Blocks ebenfalls ein wichtiger Faktor für die Nets. Als ich ihn am Sonntagmorgen – vom Sofa aus und mit dem ersten Kaffee in Händen – im Re-Live beobachtete, kam mir der Gedanke: „Könnte dieser Dude für die Nets zum X-Factor in den Playoffs werden?“ Selbstverständlich trägt der größte X-Factor in Brooklyn den Namen Kyrie Irving. Mitten in der Saison einen All-NBA-Guard ins Team zu integrieren (selbst wenn es sich nur um die Auswärtsspiele handelt), ist wohl die größtmögliche Variable. Aber wenn man Kyrie ausklammert, kann man in meinen Augen den Case für Nic Claxton machen.
Der 22-Jährige mit den herrlichen Haaren bringt nämlich ein Skillset mit, das man ansonsten bei den Nets vergeblich sucht. Mit ihm als Center wird Brooklyns Defense auf einen Schlag viel variabler, denn Claxton ist mit seiner Länge und riesigen Spannweite ein starker Rim Protector, ist aber gleichzeitig flink und beweglich genug, um Flügelspieler oder sogar Guards nach Switches am Perimeter vor sich zu halten. Der geschätzte Kollege Julius Schubert (aka Just A Kid From Germany) hat bereits vor einigen Monaten einen Breakdown zu Claxtons defensiven Fähigkeiten veröffentlicht. Schaut euch unbedingt das Video an, wenn ihr Mitglied des Nicholas-Claxton-Fanclubs werden wollt.
Ob die Nets in diesem Jahr den Titel holen können, hängt natürlich in erster Linie von Durant, Harden und Irving ab. Spätestens mit dem Harden-Trade war klar, dass man alles auf die Karte „Offensive Supermacht“ setzt. Aber gerade in einer Saison, in der ein 36-jähriger LaMarcus Aldridge, ein 32-jähriger Blake Griffin und ein 36-jähriger Paul Millsap die anderen (traditionellen) Optionen auf der Center-Position sind, könnte auch Nic Claxton mit seiner Dynamik und defensiven Präsenz in Brooklyn noch enorm wichtig werden.
(Ach ja, außerdem hat er beim Stand von 115:115 knapp 40 Sekunden vor Schluss nach einem Alley-Oop-Anspiel von Harden den King höchstpersönlich auf eines der geilsten Poster des Jahres gepackt. Ich liebe diesen Typ einfach!)
5: Warum machen die Mavs plötzlich Spaß?
Auch wenn die Dallas Mavericks vier ihrer letzten sechs Partien – inklusive des weihnachtlichen Duells mit den Utah Jazz – verloren haben, umgibt die Texaner eine andere Aura als noch vor ein paar Wochen. Eine Corona-Welle hat dazu geführt, dass sich das halbe Team in Quarantäne befindet. Entsprechend musste man, wie so viele Mannschaften aktuell, den Kader mit 10-Day-Contracts auffüllen. Seitdem strahlen die Mavericks irgendwie eine gewisse Unbekümmertheit aus, die man bislang schmerzlich vermisst hatte.
So besorgniserregend die pandemischen Entwicklungen rund um die NBA derzeit auch sind, etwas Gutes haben sie doch: Zahlreiche Spieler, die sonst nie im Leben Minuten in der besten Liga der Welt sehen würden, bekommen in den letzten Wochen eine Chance. Als Greg Monroe – ein einstiger Lottery-Pick, der seit 2019 nicht mehr in der NBA zu sehen war und anschließend eine Saison für den FC Bayern München auflief – vergangene Nacht im Trikot der Minnesota Timberwolves das Feld betrat, war er der 541. Spieler, der in der laufenden Saison zu einem NBA-Einsatz kam. Abgesehen davon, dass das ein neuer Rekord ist, machen die jüngsten Entwicklungen Platz für die ein oder andere schöne Geschichte.
Die Hardship-Verpflichtungen der Mavs bieten zwar kein Hollywood-Material á la Isaiah Thomas oder Joe Johnson, aber dennoch kam unverhofft ein frischer Wind in die Mannschaft. Die Sorgen um die ausbaufähige Defense, die erschreckend statische Offense und die Wampe von Luka Dončić waren plötzlich weit weg. Stattdessen fragte man sich, was Brandon Knight nach einjähriger Abstinenz noch so auf dem Kasten hat. Oder warum einem der Name Theo Pinson so bekannt vorkommt. Oder ob Debütant George King vielleicht tatsächlich eine Zukunft in der NBA haben könnte. Oder ob Charlie Brown Jr. mit der Comic-Kultfigur verwandt ist. Vielleicht hat diese chaotische Phase sogar dem ein oder anderen Stammspieler geholfen – Jalen Brunson zum Beispiel, der seine Usage in den letzten Spielen nochmals nach oben schrauben konnte.
Natürlich wird auch in Dallas schon bald wieder die bislang enttäuschende Realität einsetzen. Die Fragen nach Lukas Fitness, Kristaps Porzingis‘ Rolle und Jason Kidds Kompetenz werden wieder lauter werden. Aber im Moment kann man als Mavs-Fan einfach mal abschalten und ein paar neuen Gesichtern beim Basketballspielen zuschauen. Dass dieses B-Team am Christmas Day auch noch mit den vollständig angetretenen Utah Jazz mithalten konnte, ist aller Ehren wert.