Es ist vollbracht: James Harden wird in einem Vier-Team-Blockbuster zu den Brooklyn Nets getradet. Abgesehen davon, dass das für Stripclub-Betreiber in Houston schlechte Nachrichten sind, hat sich auch das Machtgefüge in der NBA innerhalb weniger Minuten deutlich verändert. Aber – Spoiler-Alert – ich bin sehr skeptisch, dass „The Beard“ an der Seite von Kevin Durant und Kyrie Irving seinen lang ersehnten Championship-Ring ergattern wird.
Bevor sich mein Blick nach Brooklyn richtet, möchte ich vorweg noch kurz die anderen Protagonisten des Deals ansprechen. Die Rockets sind letztendlich von ihren Forderungen abgerückt, als Gegenwert für Harden zwingend einen jungen Star haben zu wollen. Bei allem Respekt für Victor Oladipo, Dante Exum und Rodions Kurucs – einen Star haben die Texaner nicht bekommen. Dafür aber vier Erstrundenpicks, vier Pick Swaps und in Oladipo einen ehemaligen All-NBA-Spieler, der neben John Wall und Christian Wood eine schlagfertige Truppe bereichern könnte. Selbst wenn er das nicht tut – sein auslaufender Vertrag bietet Flexibilität im kommenden Sommer. Rockets-GM Rafael Stone hätte wohl auch ein Ben-Simmons-plus-X-Paket aus Philadelphia annehmen können. Argumente dafür lassen sich sicherlich finden, ich persönlich finde aber, die Rockets haben sich für die Zukunft mehr als solide aufgestellt. Außerdem hat die aktuelle Truppe jetzt endlich die Chance, sich ohne einen stänkernden Superstar einzuspielen.
Die Cleveland Cavaliers schnappen sich mit Jarrett Allen ihren Big Man der Zukunft und mit Taurean Prince einen soliden Wing, ohne dafür allzu viel abzugeben. Allen wird sich zu Beginn zwar wahrscheinlich noch hinter Andre Drummond einreihen müssen, dürfte aber ein wichtiger Bestandteil der langfristigen Planungen sein. Auch die Indiana Pacers klinken sich für einen kleinen, smarten Move ein und ersetzen den angeblich ohnehin abwanderungswilligen Victor Oladipo durch Caris LeVert. Der 26-Jährige ist ein ähnlicher Spielertyp und dürfte „Dipo“ bei den Pacers ziemlich gut ersetzen. Außerdem läuft sein Arbeitspapier noch bis 2023 und er passt besser in die Altersstruktur der anderen Leistungsträger, Domantas Sabonis und Malcolm Brogdon.
Jetzt aber zurück nach Brooklyn. Die Nets heben mit diesem Deal die Championship-or-Bust-Strategie auf ein komplett neues Level und setzen ihre langfristige Zukunft aufs Spiel – darüber sind sich die meisten Experten einig. Worüber sie sich auch einig sind? Wenn KD, Harden und Kyrie die Larry-O’Brien-Trophäe nach Brooklyn holen, dann waren die ganzen Picks und Swaps ein fairer Preis. Rein personell lässt sich festhalten: Die Nets haben Caris LeVert, Jarrett Allen, Taurean Prince und Rodions Kurucs abgegeben und dafür James Harden bekommen – daran lässt sich beim besten Willen wenig aussetzen. Durant, Harden und Irving sind auf dem Papier das beste Offensiv-Trio, das wir in der NBA-Geschichte erleben durften. Zwei ehemalige MVPs, die gleichzeitig zu den besten Scorern aller Zeiten zählen, sowie einer der besten Ballhandler und Finisher aller Zeiten. Wenn das Experiment funktioniert, wird es für gegnerische Defenses kein Mittel gegen die Big Three der Nets geben.
Genau hier kommt jedoch mein erstes großes Fragezeichen ins Spiel. Das offensive Talent der drei großen Brocken (bei Harden ist das derzeit leider ziemlich wörtlich gemeint) ist unbestritten. Aber bringen sie es gewinnbringend auf das Parkett? Basketball wird leider nur mit einem Ball gespielt – und Brooklyn hat jetzt drei Stars, die das orangefarbene Spielgerät am liebsten rund um die Uhr in den eigenen Händen hätten. Sind die drei Superstars gewillt, zum Wohle der Mannschaft aus dem Rampenlicht zu treten? Bei Durant mache ich mir in dieser Hinsicht die kleinsten Sorgen – KD hat bei den Golden State Warriors bewiesen, dass er auch neben anderen Stars gut funktionieren kann und gerne als Off-Ball-Gefahr agiert. Harden und Irving hingegen? Der eine hat den Begriff „Balldominanz“ in den letzten Jahren in Houston quasi neu erfunden und dabei mehrere Star-Mitspieler (Dwight Howard, Chris Paul, Russell Westbrook) in die Wüste geschickt. Der andere verließ vor nicht allzu langer Zeit die warmen Fittiche von LeBron James, um bei seinem eigenen Team der Alpha-Wolf zu sein. Kann Harden noch „richtigen“ Basketball spielen, statt eine Isolation nach der anderen zu laufen? Ist Kyrie bereit, hinter den beiden Scoring-Monstern die dritte Geige zu spielen? Vorausgesetzt, er taucht überhaupt aus seinem selbst auferlegten Exil auf. Rookie-Headcoach Steve Nash steht vor einer Mammutaufgabe: Er muss es schaffen, dass seine drei egozentrischen Superstars an einem Strang ziehen. Wenn sie es tun, könnten sie zum ultimativen Albtraum für jede Defense werden. Wenn nicht, könnte das Ganze schnell auf dramatische Art und Weise implodieren.
Das zweite große Fragezeichen sehe ich hinter der Tiefe des Kaders. Die folgenden Spieler stehen Nash und seinem Trainerstab aktuell zur Verfügung und heißen nicht Kevin Durant, James Harden oder Kyrie Irving: DeAndre Jordan, Joe Harris, Jeff Green, Landry Shamet, Bruce Brown, Tyler Johnson, Chris Chiozza, Nicolas Claxton, Reggie Perry, Timothé Luwawu-Cabarrot. Hand aufs Herz: Wer kennt alle diese Spieler? Bei welchem Namen seid ihr ausgestiegen? Die Nets werden nicht mit diesem Roster in die Playoffs gehen, sie werden sich auf dem Buyout-Markt bedienen und vielleicht mit weiteren (kleineren) Trades die Rotation auffüllen können. Dennoch schreit der Nicht-Superstar-Teil des Rosters nicht gerade „Championship“. Ein abschließendes Urteil verbietet sich hier, dafür kann noch zu viel passieren. Im Zweifel würde sich wahrscheinlich jede vor die Wahl gestellte Franchise für ein Superstar-Trio entscheiden und dafür die Tiefe des Kaders einbüßen. Es darf dennoch bezweifelt werden, ob die Nets genug Qualität aufs Parkett bringen können, wenn einer ihrer Stars schwächeln oder sich gar verletzten sollte.
Das dritte und größte Fragezeichen: Defense. Der beste Verteidiger der Nets ist… Bruce Brown? KD ist ein guter Verteidiger, aber er kommt von einem Achillessehnenriss zurück. Bislang scheint ihn das noch nicht großartig gestört zu haben, aber kann er langfristig der Top-Defender sein, der er bei den Warriors war? Und wie sieht es aus, wenn er in den Playoffs in fast jeder Serie einen Spieler vom Kaliber Tatum, Giannis und LeBron verteidigen muss? Kyrie und Harden sind bestenfalls durchschnittliche Defensivspieler – und auch das nur, wenn sie Lust dazu haben. Die Nets können gegen jedes Team problemlos 120 Punkte auflegen, gleichzeitig laufen sie in den allermeisten Spielen Gefahr, 120 Punkte zu kassieren. Viele dieser Schützenfeste werden sie vermutlich gewinnen – aber ihre Defense wird sie den ein oder anderen Sieg kosten.
Fazit: Ich mache mir Sorgen um die Defense der Nets, ich sehe (noch) große qualitative Lücken im Supporting Cast und ich bin mir nicht sicher, ob Kevin Durant, James Harden und Kyrie Irving auf dem Parket genauso gut sind wie auf dem Papier. Deswegen meine Vorhersage: Die Brooklyn Nets werden in diesem Jahr nicht in den NBA-Finals vertreten sein. Ich lasse mich gerne von Harden überzeugen, dass er noch teamorientierten Basketball spielen kann. Ebenso darf mir Kyrie beweisen, dass er voller Motivation und Uneigennützigkeit an das Projekt herangeht. KD ist spielerisch über jeden Zweifel erhaben, muss jedoch fit bleiben. Ich bin gespannt, wohin die Reise der Nets geht. Ich sehe aber keine Championship an ihrem Ende.