Endlich ist es so weit, die Draft steht an. Für viele NBA-Fans ist es die spannendste Zeit des Jahres. Mock Drafts und Big Boards geistern durch das Internet. Experten diskutieren, spekulieren, kritisieren. All das neigt sich nun dem Ende zu – heute Nacht erfahren die besten Talente der Welt, bei welcher Franchise sie ihre NBA-Reise beginnen werden.
Als Vorbereitung auf die Draft präsentiere ich heute feierlich einen kleinen Mock Draft. Ich habe mich dabei auf die ersten fünf Picks beschränkt, um einen gewissen Rahmen nicht zu sprengen. Außerdem der Hinweis: Im März erschien bereits ein Beitrag zu drei Talenten, Cade Cunningham, Evan Mobley und Jalen Suggs. Spoiler-Alert: Diese Spieler werden höchstwahrscheinlich im Rahmen der Top-5-Picks ein neues Zuhause finden. Wer also noch mehr über die drei erfahren möchte, kann gerne meinen Text von damals noch lesen. Los geht’s! Ich erwarte, dass sich ersten fünf Teams des Draft-Abends folgendermaßen entscheiden werden.
1. Pick, Detroit Pistons: Cade Cunningham
Auch wenn Troy Weaver, Detroits General Manager, seinen Job anscheinend sehr ernst nahm und deshalb viele Top-Prospects zu Workouts und Vorstellungsgesprächen einlud – an erster Stelle führt kein Weg an Cunningham vorbei. Angeblich erhielten die Pistons etliche Trade-Angebote für diesen Pick, so begehrt ist der 19-Jährige von der Oklahoma State University. Cunningham hat das Potenzial, einer der besten Spieler der NBA zu werden. Er verbindet die körperlichen Maße eines Flügelspielers (2.03 Meter, knapp 100 Kilogramm) mit dem Skillset eines Point Guards. Er ist ein starker Finisher in der Zone, ein sicherer Distanzschütze (42.2% Dreierquote) und ein elitärer Playmaker. Er kann als offensive Schaltzentrale seines Teams agieren, bewegt sich aber auch abseits des Balles klug und effektiv. Noch dazu brilliert er am defensiven Ende des Feldes – sowohl als Point-of-Attack-Defender als auch im Teamverbund. Die Liste von Cunninghams Stärken ist lang, die seiner Schwächen sehr kurz. Seine physischen Voraussetzungen verschaffen ihm regelmäßig große Vorteile gegenüber anderen Guards. Aber er verfügt nicht über herausstechend explosive Athletik, um mit einem schnellen ersten Schritt an Gegenspielern vorbeizuziehen. Diese Einschränkung sorgt für ein kleines Fragezeichen hinter seinem Potenzial als Go-to-Scorer in der NBA. Außerdem leistete er sich im Trikot der Cowboys viele Turnover, was aber eher mit der Qualität seiner Mitspieler als mit eventueller Schlampigkeit zu erklären ist.
Die Detroit Pistons haben in der diesjährigen Lottery das ganz große Los gezogen. Ihnen wurde nicht nur der erste Pick zugesprochen, sondern dies geschah in einem solch starken Jahrgang mit einem solch besonderen Talent wie Cunningham. Die Franchise aus der Motor City steckt mitten in einem vollumfänglichen Rebuild. Sie bekommen jetzt die Chance, die sich jedes neuaufbauende Team wünscht: Mit Cunningham können sie einen potenziellen Superstar draften. Zwar holte man mit dem siebten Pick der vergangenen Draft in Killian Hayes einen weiteren Point Guard ins Boot, doch der Fit zwischen den beiden dürfte kein Problem sein. Über jedem No.-1-Pick schwebt die Gefahr, irgendwann als Fehlgriff deklariert zu werden. Man weiß natürlich nie, wie sich diese jungen Männer spielerisch und persönlich entwickeln. Aber Cade ist ein fantastisches Talent, das vermutlich in jedem NBA-Team sofort in die Starting-Five beordert werden würde. Die Pistons könnten sich über Jahre an seiner Klasse erfreuen und ein schlagfertiges Team um ihn herum aufbauen. Davon träumt jedes Rebuilding-Team.
2. Pick, Houston Rockets: Jalen Green
Ich finde, die Rockets sollten Evan Mobley an zweiter Stelle auswählen. Ich komme gleich noch dazu, warum es mir der Big Man so angetan hat. Gerüchten zufolge wird sich Houston aber eher für Jalen Green entscheiden – und könnte damit ebenfalls goldrichtig liegen. Green ist mutmaßlich der beste Scorer seines Jahrgangs und ein herausragender Athlet. Seine Sprungkraft und Schnelligkeit suchen ihresgleichen und erlauben es ihm, nach Belieben zum Korb zu kommen, wo er geschickt abschließen kann. Sein Wurf ist nicht überragend, aber lässt auch nicht daran zweifeln, dass er in der NBA ein sicherer Schütze sein kann. Der 19-Jährige, der sich gegen ein Jahr am College und für ein Engagement im G-League-Team Ignite entschied, muss in den nächsten Jahren noch an seinen Schwächen in Sachen Playmaking und Defense arbeiten. In der G-League war er ein williger Passgeber und steigerte sich in diesem Bereich stetig. Bis er in der NBA aber ein echter Floor General sein kann, ist es noch ein langer Weg. In der Defensive lässt Green manchmal die Intensität und Athletik vermissen, die ihn am anderen Ende des Feldes zu so einem atemberaubenden Spieler machen.
Green wäre bei den Rockets, die dringend frisches Blut brauchen, sofort die erste Option und hätte in der Offensive alle Freiheiten. An der Seite von John Wall könnte er sein Playmaking verbessern und nach Belieben scoren. Mit Christian Wood steht ein Partner für Pick-and-Roll-Spielzüge bereit. Der 1.96 Meter große Guard hat in der vergangenen Saison in der G-League bewiesen, dass er selbst gegen erfahrene Profis bestehen kann. Für das Team Ignite machte er im Schnitt 17.9 Punkte pro Partie und sorgte regelmäßig für verrückte Highlights. Dass er diese Fähigkeiten auch in der NBA abrufen kann, bezweifeln nur wenige. Seine Entwicklung als Playmaker und Verteidiger wird darüber entscheiden, wie hoch hinaus es für den Highflyer gehen kann.
3. Pick, Cleveland Cavaliers: Evan Mobley
Sollte tatsächlich der Name von Jalen Green als zweites ausgerufen werden, dürfte das Front Office der Cleveland Cavaliers in ekstatischen Jubel ausbrechen. Denn das würde bedeuten, dass man sich an dritter Stelle die Dienste von Evan Mobley sichern könnte. Der 2,14 Meter große Big Man von der University of Southern California gilt als eines der spannendsten Big-Talente der vergangenen zehn Jahre. Mobley bewegt sich für einen Spieler seiner Statur extrem flüssig und dynamisch, hat Scoring-Touch in der Zone und verfügt über einen vielversprechenden Jumper. Er kann sowohl im Pick-and-Roll als auch im Pick-and-Pop agieren und hat sogar die Schnelligkeit und das Handling, um aus dem eigenen Dribbling heraus zum Korb zu ziehen. Außerdem hat Mobley das Potenzial, auf seiner Position einer der besten Passgeber der Liga zu werden und auf diese Weise seine Mitspieler besser zu machen. Und als wäre das alles nicht schon genug, hat er auch noch das Zeug dazu, als elitärer Korbbeschützer UND passabler Verteidiger am Perimeter zu glänzen.
Um gegen die (buchstäblichen) Center-Schwergewichte der NBA mithalten zu können, wird Mobley in den nächsten Jahren noch ordentlich an Muskelmasse zulegen müssen. Auch sein Wurf kann und sollte noch aufpoliert werden, sodass er mittelfristig zu einem sicheren Dreierschützen werden kann. Ansonsten bringt der 19-Jährige jedoch schon jetzt alles mit, um ein gewinnbringender NBA-Spieler zu sein. Die Cavaliers werden ihn sich an dritter Stelle deshalb nicht entgehen lassen. Er könnte den jungen Kern um Darius Garland und Isaac Okoro ergänzen oder direkt in die Rolle des potenziellen Franchise-Stars schlüpfen. Ein solcher fehlt den Cavs nämlich noch. Egal, was mit Collin Sexton (Tradegerüchte) und Jarrett Allen (Restricted Free Agency) passiert – mit Mobley würde Cleveland einen gewaltigen Schritt nach vorne machen.
4. Pick, Toronto Raptors: Jalen Suggs
Mit dem vierten Pick wird vermutlich der andere Jalen vom Board gehen. Suggs war in der abgelaufenen Saison bester Spieler und Anführer der Gonzaga Bulldogs, die in der March Madness erst im Finale an Baylor scheiterten. Der 19-jährige, 1.93 Meter große Point Guard ist ein athletischer Scorer, Playmaker und Verteidiger. Mit seiner uneigennützigen Spielweise passte er perfekt in das moderne System der Zags und ging auf dem Parkett voran. Dank seines guten (aber noch ausbaufähigen) Wurfs und seiner Spielintelligenz funktioniert er auch abseits des Balles, was in der NBA eine entscheidende Fähigkeit für Nicht-Superstars ist. Auch am defensiven Ende spielt er mit viel Einsatz und ist stark genug, um auch größere Gegenspieler kompetent verteidigen zu können.
In Toronto könnte Suggs auf Anhieb Routinier Kyle Lowry ersetzen, der sich wahrscheinlich einem anderen Team anschließen wird. Die Raptors haben eine ungewohnt mittelmäßige Saison hinter sich. Egal, ob sie schnellstmöglich wieder zurück in die Erfolgsspur wollen, oder eher auf die Jugend setzen – Suggs hilft auf beiden Wegen. Sein Basketball-IQ und sein Einsatzwille erlauben es ihm, auf dem Feld in verschiedene Rollen zu schlüpfen und diese gut auszufüllen. Abgesehen von seinen körperlichen Voraussetzungen und seinem technischen Können ist Suggs vor allem eins: ein Gewinner. Solch einen Spieler hätte jedes Team gerne in seinen Reihen.
5. Pick, Orlando Magic: Scottie Barnes
Die Magic werden an dieser Stelle mit Sicherheit über Jonathan Kuminga, den Ignite-Kollegen von Jalen Green, nachdenken. Auch James Bouknight oder sogar Franz Wagner könnten ernsthafte Optionen sein. Ich glaube aber, dass sich Orlando am Ende für Scottie Barnes entscheiden wird. Der Flügelspieler von Florida State ist einer der besten Defender des Jahrgangs. Er ist agil genug, um mit flinken Perimeter-Spielern Schritt zu halten, sowie stark und lang genug, um auch Big Men zu verteidigen. Außerdem verfügt er über deutlich sichtbares Playmaking-Potenzial, das er in der vergangenen Saison in seiner Rolle als De-Facto-Point-Guard immer wieder andeutete. Um diese Spielmacher-Qualitäten aber auf Dauer bestmöglich einsetzen zu können, wird sich Barnes als Scorer verbessern müssen. Sein Wurf ist sehr ausbaufähig und zu gefährlichen Drives setzt er meist auch nur in Transition an.
Den Magic bleibt in ihrer aktuellen Situation nichts anderes übrig, als über die Draft so viel Talent wie möglich anzuhäufen. Scottie Barnes ist zwar vermutlich kein Franchise-Spieler, passt mit seiner Defense und seinem Playmaking aber in jedes Mannschaftsgefüge. Wenn er sich auch noch zu einem zumindest passablen Shooter und Scorer entwickelt, könnte er genau der Typ Spieler werden, der in der modernen NBA am begehrtesten ist: ein 3-and-D-Wing mit Playmaking-Skills. Es bedarf nicht viel Fantasie, um sich Barnes als langfristigen Leistungsträger in Orlando vorzustellen.