Abwarten

Ich verstehe jeden Bayern-Anhänger, der die ersten Bilder von Leroy Sané im FCB-Dress euphorisch bestaunt hat. Er ist ein außergewöhnlicher Spieler, der den Rekordmeister noch besser machen kann – das steht außer Frage. Aber in den letzten Tagen habe ich immer wieder von dem Messias Münchens gelesen und gehört. Von dem Heilsbringer und dem neuen Gesicht der Bundesliga. Sorry, liebe Bayern-Fans, aber da muss ich sagen: Abwarten.

Zunächst aber die Pro-Seite: Sané ist ein Ausnahmekönner von internationalem Top-Format, das lässt sich nicht abstreiten. Mit seiner offiziellen Verpflichtung in dieser Woche geht nach monatelangem Tauziehen endlich der ersehnte Königstransfer über die Bühne. Einen Star seines Kalibers konnten die Bayern-Bosse schon länger nicht mehr an die Säbener Straße locken – ohne Spielern wie Leon Goretzka, Benjamin Pavard oder Lucas Hernández zu nahe treten zu wollen. Vielleicht könnte man Coutinho auf der gleichen Stufe einordnen – aber bekanntlich hat sich das Experiment nicht so wirklich ausgezahlt.

Mit seinem irren Tempo und seiner Torgefahr passt Sané sehr gut ins Bayern-System. Mit ihm und Serge Gnabry oder Kingsley Coman auf den Flügeln könnten schon fast Erinnerungen an vergangene Robbery-Tage aufkommen. Dazu Thomas Müller und Robert Lewandowski im Zentrum. Spoiler-Alarm: Die FCB-Offensive 2020/2021 wird geil!

Aber den extremen Hype, der gerade rund um diesen Transfer herrscht, kann ich nicht teilen. Dafür ist Leroy Sané in meinen Augen einfach nicht gut genug. Er ist eben kein absoluter Weltstar, der den Bayern sofort ein komplett neues Gesicht geben wird. Ich stelle mir tatsächlich die Frage, ob der Königstransfer überhaupt unangefochtener Stammspieler sein wird. Mal abgesehen davon, dass er eine lange Verletzungspause hinter sich hat und wahrscheinlich zu Beginn der neuen Saison noch nicht ganz wieder im Rhythmus sein wird: Der Rekordmeister ist – gerade offensiv – auch ohne den 24-Jährigen alles andere als schlecht aufgestellt. Lewandowski ist und bleibt Lewandowski, Müller ist und bleibt Müller – mehr muss man zu den Beiden eigentlich gar nicht sagen. Gnabry hat eine sehr starke Saison gespielt. Coman bringt im Vergleich zu Sané sehr ähnliche Fähigkeiten mit – und das auf einem nicht viel geringeren Niveau. Alphonso Davies wird weiterhin die linke Linie hoch- und runterflitzen. Joshua Kimmich wird das Herz und der Motor der Mannschaft bleiben. Leon Goretzka wird weiter an seinem Bizepsumfang arbeiten. Bei Manchester City hat Sané viele starke Leistungen gezeigt, aber unangefochtener Stammspieler war er nie. Statt Sterling und Mahrez heißen seine Konkurrenten jetzt Gnabry und Coman – ist es da wirklich so viel einfacher, einen Stammplatz zu sichern?

Natürlich freut es mich, dass einer der besten deutschen Spieler bald wieder in der Bundesliga zu sehen ist. Kann Leroy Sané den FC Bayern München (noch) besser machen? Absolut. Hat er das Potenzial, über Jahre hinweg Stammspieler und Leistungsträger beim Rekordmeister zu sein? Ich denke schon. Aber ist es angebracht, ihn schon vor seinem ersten Einsatz im Bayern-Trikot in den Himmel zu loben und zum Messias zu erklären? Meiner Meinung nach nicht. Sané muss erst beweisen, dass er mit seinem neuen Status in München umgehen und Woche für Woche herausragende Leistungen bringen kann. In Manchester war er nur ein Puzzleteil des großen Ganzen. Jetzt soll er über Nacht der Star einer Spitzenmannschaft werden. Deswegen: Abwarten, liebe Bayern-Fans.

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